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Lockdown-Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung: Was will die Bevölkerung?

Unter welchen Bedingungen sind Menschen bereit, Einschränkungen des öffentlichen Lebens, der Wirtschaft und der Gesundheitsversorgung im Zuge sogenannter Lockdown-Maßnahmen zum Zwecke der Pandemie-Bekämpfung zu akzeptieren? Dies untersucht eine Studie unter Führung der Health Economics Research Unit der University of Aberdeen unter Mitwirkung eines Mitarbeiters des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen, zu der nun erste Ergebnisse veröffentlicht wurden.

Hintergrund

Zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie haben Regierungen weltweit zu sogenannten Lockdown-Maßnahmen gegriffen. Diese haben die Begrenzung menschlicher Kontakte zum Ziel, wodurch die Ausbreitung des Virus verlangsamt oder gestoppt werden soll. Lockdown-Maßnahmen bringen nicht nur Einschränkungen des öffentlichen Lebens mit sich – etwa durch den Stopp von Großveranstaltungen oder Kontaktbeschränkungen – sondern haben auch Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesundheitsversorgung, in letzterer Hinsicht beispielsweise durch die Verzögerung von aufschiebbaren Operationen.

Bild: shutterstock.com / elenabsl

Die Effektivität von Lockdown-Maßnahmen hängt maßgeblich von der Mitwirkung der Bevölkerung ab. Deswegen ist es besonders wichtig, dass diese bereit ist, die beschlossenen Einschränkungen mitzutragen und dass Sinn und Zweck der Maßnahmen angemessen kommuniziert werden.

In einer großangelegten Studie haben Forscher aus Aberdeen und Göttingen nun untersucht, unter welchen Bedingungen britische Bürger bereit sind, Lockdown-Maßnahmen zu akzeptieren.

Vorgehen

Die Studie stützt sich auf eine Umfrage unter 4120 Erwachsenen aus England, Schottland, Wales und Nordirland. Probanden wurden gebeten, zwischen verschiedenen hypothetischen Lockdown-Szenarien zu wählen, die sich hinsichtlich der Effektivität, des Grades der Einschränkungen, sowie der Länge der Lockdown-Maßnahmen unterschieden und unterschiedliche Effekte auf das persönliche Einkommen, die Arbeitslosenzahlen des Landes und auf die Bereitstellung der Gesundheitsversorgung hatten. Die Szenarien unterschieden sich auch hinsichtlich der Anzahl der Leben, die durch eine verlangsamte Verbreitung des Virus voraussichtlich gerettet werden könnten (siehe Bild).

Bild: Luis Loria

Mittels dieser sogenannten „Discrete Choice Experiment“-Methode kann ermittelt werden, welche Kompromisse Probanden bei der Bewertung dieser Szenarien eingehen. Dabei lassen sich Vergleiche zwischen verschiedenen Eigenschaften von Lockdowns anstellen, indem ermittelt wird, wie sich eine Veränderung der Lockdown-Eigenschaften auf die Präferenz zur voraussichtlichen Rettung von Leben auswirken. Die zugrundeliegende Vermutung ist hier, dass Menschen zu stärkeren Einschränkungen bereit sind, sofern die damit verbundenen Maßnahmen mehr gerettete Leben durch eine Verlangsamung der Ausbreitung des Virus zur Folge haben. Die relative Wichtigkeit von Lockdown-Eigenschaften lässt sich somit dadurch ermitteln, dass errechnet wird, wie viele zusätzliche Leben gerettet werden müssten, damit eine Einschränkung akzeptiert wird. Je größer diese Zahl, desto stärker also die Ablehnung einer solchen Einschränkung. Weitere Informationen zum methodischen Vorgehen der Studie wurden bereits 2021 im Fachjournal BMJ Open veröffentlicht.

Ergebnisse

Eine Mehrheit der Befragten war bereit, eine höhere Sterblichkeit zu akzeptieren im Austausch gegen Lockdown-Maßnahmen, die weniger strikt oder kürzer sind oder keine Verzögerungen bei verschiebbaren Operationen zur Folge haben. Rund ein Fünftel der Befragten war um keinen in der Befragung vorgesehenen Preis bereit, eine höhere Sterblichkeit zu akzeptieren. Eine solche Priorisierung der Sterblichkeit kam bei Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen häufiger vor. Menschen in England hatten eine größere Abneigung gegen strikte Lockdown-Maßnahmen als Menschen in Schottland, Wales und Nordirland und waren bereit eine höhere Sterblichkeit im Austausch gegen eine Lockerung der Maßnahmen zu akzeptieren.

Weitere Forschung

Zusätzlich zu demographischen Daten und Lockdown-Präferenzen erhob die Studie auch, welche Rolle moralische Überzeugungen für die Probanden spielten. Durch die Auswertung dieser Daten erhofft sich das Team Aufschlüsse über den Effekt moralischer Werte auf die Kompromissfindung in schwierigen moralischen Entscheidungssituationen. Durch eine bessere Anpassung der Lockdown-Maßnahmen an die Überzeugungen der Bevölkerung könnten politische Entscheidungsträger die Akzeptanz und somit auch die Effektivität der Maßnahmen maßgeblich steigern. Unter Bezugnahme auf, und Berücksichtigung von, moralischen Werten, die der Bevölkerung besonders wichtig sind, könnte zudem effektiver für angemessene Lockdown-Maßnahmen geworben werden. Eine entsprechende Publikation ist in Arbeit.

Weiterführende Links

Vielen Dank an Ruben Sakowsky für die Ausarbeitung dieses Artikels.

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Digitale Pandemie-Eindämmung?

Projektrückblick: Gesellschaftliche Akzeptanz von Pandemie-Apps (Projekt COMPASS)

Mit Smartphone Apps gegen die COVID-19-Pandemie

Zu Beginn der COVID-19-Pandemie stand für viele Regierungen fest, dass sie zur Unterstützung der Eindämmung und der Erforschung des neuartigen Coronavirus auf digitale Lösungen setzen wollen. Innerhalb kürzester Zeit wurden im Frühjahr und Sommer 2020 eine Vielzahl an Apps mit verschiedenen Zwecksetzungen für das Smartphone und sogenannte Web-Apps für den Internet-Browser entwickelt. So gibt es beispielsweise Apps mit den Hauptfunktionen Unterstützung des Test-Managements, gesundheitlicher Symptomcheck (‚Tracking‘), Datenweitergabe an die epidemiologische Forschung (‚Datenspende‘) sowie Nachverfolgung von Kontakten mit infizierten Personen (‚Contact Tracing‘). Darunter stellen die vom Robert-Koch-Institut (RKI) im Auftrag der Bundesregierung herausgegebene ‚Corona-Warn-App‘, die ‚Corona-Datenspende-App‘ und neuerdings die Luca-App sicher die bekanntesten Beispiele dar.

Bild: shutterstock.com / Firn

Die Entwicklung der Apps und die Entscheidung für bestimmte App-Eigenschaften ist bis heute von vielschichtigen technischen und ethischen Diskussionen begleitet. Sie betreffen unter anderem solche vielfältigen Fragen: Wie und wo sollen die von einer App erhobenen Daten gespeichert werden? Welche Technologien (GPS, Bluetooth) sollen zur Datenübertragung eingesetzt werden? Inwiefern können die Nutzer*innen die App selbstbestimmt nutzen? Sind die Prozesse der Datenspeicherung und die beteiligten Akteure in der Datenauswertung transparent? Ist die App-Nutzung eine moralische oder soziale Pflicht?

Bewährte Bausteine für und ethische Anforderungen an die App-Entwicklung

Damit bei zukünftigen Pandemien App-Entwickler*innen – zum Beispiel auch von Universitätskliniken – auf miteinander kompatible und erprobte App-Bausteine zurückgreifen können, erscheint es sinnvoll, bewährte Lösungen („best-practices“), technische Empfehlungen zur Konstruktion, regulatorische Anforderungen an Apps sowie ethische Empfehlungen zusammenzutragen. Dieser Aufgabe hat sich das Verbundprojekt Coordination on mobile pandemic apps best practice and solution sharing (COMPASS) mit einem besonderen Fokus auf forschungskompatible Apps gewidmet. Das COMPASS-Projekt ist Teil des 2020 gegründeten Nationalen Forschungsnetzwerk der Universitätsmedizin zu Covid-19 (NUM) und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Im Rahmen des COMPASS-Projekts war das Institut für Ethik und Geschichte der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) (Prof. Dr. Silke Schicktanz, Lorina Buhr) mit zwei eigenen Studien im Arbeitspaket „Ethische Anforderungen“ beteiligt (Laufzeit: September 2020 bis März 2021). Weitere Beteiligte dieses Arbeitspaketes waren das Universitätsklinikum Würzburg (Prof. Dr. Rüdiger Pryss), das Universitätsklinikum Ulm, sowie das Universitätsklinikum Regensburg.

Bild: shutterstock.com / ellenabsl
Teilstudien am Institut

Eine Teilstudie umfasste die systematische Sichtung der Fachliteratur zu ethischen Empfehlungen zur Entwicklung und Anwendung von Pandemie-bezogenen Smartphone Apps (‚Scoping Review‘). Aus der Literatursichtung konnten eine Reihe von ethischen Handlungsempfehlungen für App-Entwickler*innen gewonnen werden, diese sind auch in die NUM-COMPASS Online-Plattform ‚Wissensbasis Pandemie-App-Entwicklung‘ eingeflossen.

Im Rahmen der zweiten Teilstudie wurde eine repräsentative Bevölkerungsumfrage durchgeführt. Ziel der Umfrage war es, Einstellungen und Akzeptenzpotentiale in der breiten Bevölkerung gegenüber Pandemie-Apps zu erheben, die auf die Datenweitergabe an Forschungsinstitute ausgelegt sind (‚forschungskompatible Pandemie-Apps‘).

Ergebnisse

Die Ergebnisse der Umfrage haben wichtige Erkenntnisse für die Betrachtung ethischer Dimensionen der Nutzung von Pandemie-Apps und die Kommunikation rund um den Einsatz von Pandemie-Apps geliefert. Eine zentrale Einsicht war, dass forschungsorientierte Apps großes Potential haben angenommen zu werden, wenn sie von staatlichen Institutionen herausgegeben werden, da sich eine deutliche Mehrheit der Befragten zur Weitergabe von App-Daten an staatliche Forschungsinstitute bereit zeigte. Dagegen ist das Vertrauen in privatwirtschaftliche Akteure rund um die Herausgabe und Speicherung von Daten von Pandemie-Apps deutlich geringer. Auch gibt es Nachholbedarf in der Aufbereitung und Zugänglichkeit von Informationen rund um Pandemie-Apps und deren Datenverarbeitung. Erste Ergebnisse der Bevölkerungsumfrage sind bereits im Ärzteblatt erschienen. Eine ausführliche Darstellung der Bevölkerungsumfrage und ihrer Ergebnisse sollen nun außerdem in einem internationalen Fachjournal publiziert werden.

Einen herzlichen Dank an Lorina Buhr für die Ausarbeitung dieses Beitrages!