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Innovatives Bürgerbeteiligungsprojekt zu Pandemie-Apps feiert erfolgreichen Abschluss

Bis Ende Januar 2022 wurde die Corona-Warn-App über 41 Millionen Mal heruntergeladen1. Pandemie-Apps wie die Corona-Warn-App sollen dabei helfen, Infektionsketten nachzuvollziehen und zu unterbrechen, indem sie Nutzer*innen vor Risikokontakten warnen und diesen zugleich die Chance bieten, eine eigene Infektion anonymisiert mitzuteilen. Auf diese Weise bergen Pandemie-Apps zusätzlich das Potenzial, auf das Sicherheits- und Unsicherheits-Empfinden ihrer Nutzer*innen einzuwirken. Aber wie genau funktionieren Pandemie-Apps eigentlich? Sind sie ein neutrales technologisches Werkzeug zur Bekämpfung einer Pandemie? Und welche Chancen und Risiken sieht die Zivilgesellschaft in ihnen? Das Projekt „Unser Gesundheitswesen von morgen: Digitalisierung – Künstliche Intelligenz – Diversität“, das vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur aus Mitteln des Niedersächsischen Vorab gefördert wird, hat sich genau diese Fragen gestellt und im Rahmen eines innovativen Online-Bürgerforums nach möglichen Antworten gesucht.

„Es fehlen bislang Diskussions- und Reflexionsforen, die auch der Vielfalt von Ansichten, Werten und Perspektiven von Bürger*innen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gezielt Rechnung tragen“, erklärt die Leiterin des Projektes, Frau Professorin Dr. Silke Schicktanz vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen, die Motivation hinter dem Projekt. Das Online-Bürgerforum wurde als Reaktion auf diese Leerstelle entwickelt und begreift die Diskussion medizinethischer Themen als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Direkte Bürgerbeteiligung

Doch was ist ein Bürgerforum überhaupt? Kurz gesagt: ein Bürgerforum ist eine Form der direkten Bürgerbeteiligung, in dessen Rahmen sich Personen aus der Zivilgesellschaft zusammenfinden und ein gesellschaftlich relevantes Thema diskutieren. Im Rahmen des Forums bekommen die Bürger*innen die Chance, Expert*innen zum jeweiligen Thema zu befragen, um sich auf diese Weise eine informierte Meinung bilden zu können. Am Ende eines Bürgerforums soll ein gemeinsames Positionspapier entstehen, das als Handlungsempfehlung an relevante Entscheidungsträger*innen aus der Politik, der Wissenschaft oder der Forschung übergeben werden kann.

„Bei deliberativen Ansätzen zur Bürgerbeteiligung steht der Austausch zwischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik im Vordergrund“, so Dr. Ruben Sakowsky, der das Bürgerforum gemeinsam mit Julia Perry organisierte und moderierte. „Sozialwissenschaftliche Forschung zu den Präferenzen und Standpunkten von Bürgern und Betroffenen in Gesundheitsfragen wird hier nicht als Einbahnstraße konzipiert, sondern als eine Form des Dialogs auf Augenhöhe. Es freut uns sehr, dass wir für diese wichtige Form der Partizipation neue Online-Methoden erproben konnten, die die zivilgesellschaftliche Beteiligung an Fragen der Gesundheitsforschung und -politik weiter voranbringen.“

Zum Feedback von Pandemie-Apps

petovarga/shutterstock.com

Im November 2021 war es soweit: 10 Studierende2 aus verschiedenen Fachrichtungen der Georg-August-Universität Göttingen sowie der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg fanden sich an drei Abenden via Zoom jeweils für zwei bis drei Stunden zusammen, um gemeinsam über Pandemie-Apps zu diskutieren. Unter dem Titel „Forschungsorientierte Pandemie-Apps“, womit Programme verstanden werden, die auf Smartphones von Nutzer*innen laufen und Daten für die Gesundheitsforschung zum Zwecke der Untersuchung von pandemischen Infektionskrankheiten bereitstellen, stand insbesondere das Feedback-Verhalten solcher Apps im Blickpunkt. Diskutiert wurde unter anderem die Frage, welche Rückmeldungen diese ganz konkret an ihre Nutzer*innen ausgeben. Das können zum einen generelle Informationen sein, beispielsweise zum sicheren Verhalten während einer Pandemie. Zum anderen aber bezieht sich Feedback auch auf aufbereitete und personalisierte Informationen, die auf Grundlage von Nutzerdaten hergestellt werden – beispielsweise zum persönlichen Infektionsrisiko, das über eine Prozentangabe oder eine Warnampel dargestellt werden kann.

Feedback stellt somit eine Möglichkeit dar, Nutzer*innen von Pandemie-Apps im Austausch für die Daten, die sie der Forschung bereitstellen, eine Gegenleistung in Form nützlicher Informationen anzubieten. Neben dem offensichtlichen Nutzen eines solchen Feedbacks für ihre Nutzer*innen, stellen sich dennoch eine Reihe ethischer Herausforderungen, beispielsweise hinsichtlich ihrer Datenbasis. Um einige dieser komplexen Fragestellungen faktenbasiert diskutieren zu können, bekamen die Studierenden die Möglichkeit, drei Expert*innen aus verschiedenen Disziplinen zum Thema zu befragen.

Argumentieren auf Faktenbasis

Am ersten Tag des Bürgerforums erläuterte Dr. Tina Jahnel vom Leibniz WissenschaftsCampus Digital Public Health der Universität Bremen was Pandemie-Apps eigentlich sind, wofür sie eingesetzt werden und welche Herausforderungen sich durch ihren Einsatz stellen können. Sie beleuchtete darüber hinaus, welche Formen des Feedbacks durch Pandemie-Apps denkbar sind. Herr Professor Dr. Rüdiger Pryss vom Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg erweiterte diese Ausführungen am zweiten Tag um die technischen Details der App-Entwicklung und erklärte anhand konkreter Beispiele aus der eigenen Forschung den Nutzen und die Bedeutung von Feedback in der Entwicklung von Gesundheits-Apps. Diese Ausführungen bereicherte Dr. Joschka Haltaufderheide vom Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Ruhr-Universität Bochum schließlich um die ethischen Dimensionen des App-Feedbacks. Anhand der Corona-Warn-App stellte er die Beziehungen von Technologie und Nutzer*innen beispielhaft dar.

Die Expert*innen.Von links nach rechts: Dr. Tina Jahnel (Universität Bremen), Prof. Dr. Rüdiger Pryss (Universität Würzburg), Dr. Joschka Haltaufderheide (Universität Bochum)

Nach jedem Vortrag bekamen die Studierenden die Möglichkeit, mit den Expert*innen ins Gespräch zu kommen, um so offene Fragen zu klären. Im Anschluss daran diskutierten die Studierenden in einem Zoom-Breakout-Raum untereinander über das Für und Wider bestimmter Feedback-Arten und über mögliche Ansätze für Verbesserungen gegenwärtiger Pandemie-Apps wie der Luca-App oder der Corona-Warn-App. Mithilfe der Software Miro, einem browserbasierten, interaktiven Whiteboard, visualisierten die Studierenden ihren aktuellen Arbeitsstand. So arbeiteten sie mittels verschiedener Online-Tools zwar räumlich getrennt, aber dennoch gemeinsam an problemorientierten Fragen. Unterstützt wurden sie dabei von den Moderator*innen des Projektteams, Dr. Ruben Sakowsky und Julia Perry.

Zu Beginn des dritten Tages bekamen die Teilnehmenden von der Moderation schließlich eine Einführung in das Schreiben von Handlungsempfehlungen mit themenunabhängigen Beispielen und Vorschlägen zur konkreten Umsetzung und Ausgestaltung. Anschließend arbeiteten die Studierenden auf Grundlage der gemeinsamen Diskussionsergebnisse einen Entwurf für eine Handlungsempfehlung aus, die sich an die wissenschaftliche Gesundheitsforschung richten sollte. Eine interne Redaktionsgruppe, die die Studierenden am Ende von Tag 3 bestimmten, arbeitete diesen Entwurf schließlich zu einem Fließtext aus, ehe dieser im Plenum final diskutiert und konsentiert wurde.

Im Dialog mit der Gesundheitsforschung

Am 26. Januar 2022 übergaben drei der Studierenden (Gilbert Hövel, Janina Scholz und Lara Wiechers) stellvertretend für die gesamte Gruppe die Handlungsempfehlung an Frau Professorin Dr. Dagmar Krefting, Direktorin des Instituts für Medizinische Informatik der Universitätsmedizin Göttingen. Sie leitet das Projekt „Coordination on mobile pandemic apps and solution sharing“, kurz COMPASS3, welches sich dem Aufbau einer bundesweiten Plattform widmet, die sich die „Bereitstellung konkreter Methoden und Werkzeuge für den Einsatz von Gesundheitsapps in einer Pandemie“4 zum Ziel gesetzt hat. Prof. Krefting erläuterte im Rahmen des Zusammentreffens die Wichtigkeit einer einheitlichen Koordination von Projekten und Ressourcen, um effektiv App-Lösungen für die gegenwärtige Pandemie zu schaffen. Das „Netzwerk Universitätsmedizin“, welches den Zusammenschluss und die Kooperation aller 36 bundesweiten Universitätskliniken bezeichnet, sei ein weiterer Schritt, um der Pandemie im Verbund zu begegnen.

Im Anschluss an die Vorstellung des COMPASS-Projektes stellten die Studierenden einzelne Punkte ihrer Handlungsempfehlung vor. So sollten Nutzer*innen von Pandemie-Apps zum Beispiel die Möglichkeit bekommen, freiwillig mehr Daten preiszugeben, um dafür im Gegenzug ein umfangreicheres Feedback zum eigenen Ansteckungsrisiko zu erhalten. Darum sei es überdies sinnvoll, auch Angaben zum genauen Ort und der Zeit von Kontakten machen zu können, um so eine bessere Aufklärung bei Risikokontakten zu gewährleisten. Prof. Krefting begrüßte diese Anregung und verwies auf die informationelle Selbstbestimmung von Nutzer*innen, von der diese auch durch freiwillige Datenspenden Gebrauch machen könnten. Um dies vollumfänglich zu gewährleisten, müssten Pandemie-Apps funktional offener werden als sie es gegenwärtig sind.

Die Übergabe der Handlungsempfehlung via Zoom. Von links nach rechts: Sabrina Krohm, Dr. Ruben Sakowsky, Julia Perry, Janina Scholz, Gilbert Hövel, Prof. Dr. Dagmar Krefting, Prof. Dr. Silke Schicktanz, Lara Wiechers

Darüber hinaus regten die Studierenden in ihrer Handlungsempfehlung an, dass neben den üblichen Warnhinweisen, die beispielsweise nach einem positiven Corona-Test einer Kontaktperson in der App erscheinen, auch positiv konnotiertes Feedback ermöglicht werden sollte, zum Beispiel darüber, wie vielen Personen die eigene Datenspende geholfen hat. Auch im sogenannten onboarding von forschungsorientierten Pandemie-Apps im Allgemeinen seien laut der Handlungsempfehlung noch Potenziale zur Verbesserung. Das onboarding bezieht sich darauf, auf welche Weise neue Nutzer*innen bei der ersten Anwendung in eine App eingeführt werden. Damit das gelingt, sei es laut der Studierenden wichtig, dass die App nach der Installation Hilfestellungen dazu gibt, wie die verschiedenen Warnmeldungen einzuordnen sind sowie eine detaillierte Aufklärung darüber, was mit den eigenen Daten geschieht und inwiefern diese bei der Aufdeckung von Infektionsketten hilfreich sein können.

Prof. Schicktanz diskutierte gemeinsam mit ihrem Team, den Studierenden sowie Prof. Krefting anschließend über die Nützlichkeit zivilgesellschaftlicher Perspektiven in der Gesundheitsforschung und richtete den Blick auch auf die Zukunft partizipativer Formate. Die engagierte Mitarbeit der Studierenden habe gezeigt, dass solche Formate zukunftsfähig seien und zusätzlich einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Methodik von Online-Bürgerbeteiligung leisten können, so Prof. Schicktanz. Auch Prof. Krefting bekräftigte noch einmal die positive Signalwirkung eines solchen Projektes, da es zeige, dass man kein abgeschlossenes Studium hinter sich gebracht haben muss, um sich zivilgesellschaftlich einzubringen und die Forschung voranzutreiben. Auch die Studierenden äußerten sich positiv über ihre Teilnahme am Bürgerforum. Es sei schön zu sehen, so eine Teilnehmerin, dass die eigenen Ergebnisse auch tatsächlich einen Einfluss auf die Forschung hätten.

Einen herzlichen Dank an Kai Hornburg für die Ausarbeitung dieses Beitrags.



Verweise:

[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1125951/umfrage/downloads-der-corona-warn-app/
[2]Teilgenommen haben: Aaron Günther, Anna Emilia Husak, Caroline Gaibel, Florian Schulte, Gilbert Hövel, Janina Chiara Scholz, Johanna Harzendorf,  Lara Wiechers, Laura Domogalla, Marie Kornab
[3] Projektwebseite: https://num-compass.science/de/
[4]
https://www.umg.eu/forschung/corona-forschung/num/compass/

Headerbild: DesignRage/shutterstock.com