Repräsentationen von Syphilis vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart
Die Plakatkampagne „Hautnah“, die zahlreiche Bushaltestellen, Plakatwände und Litfaßsäulen schmückte, war in den vergangenen Monaten kaum übersehbar. Sie machte das Thema Geschlechtskrankheiten im Alltag auf einprägsame Weise visuell präsent. Dass die Bundeszentrale für sexuelle gesundheitliche Aufklärung (BzgA) mit ihrer Initiative „LIEBESLEBEN“ dabei auf die Gefahr einer Ansteckung hinweist und aktiv zur Nutzung von Kondomen auffordert, überrascht aus heutiger Perspektive kaum, denn dies gilt als eine der erfolgreichsten Maßnahmen zur Prävention von Geschlechtskrankheiten wie Syphilis.
Ein Plakat der “Hautnah”-Kampagne. Bild: Victoria Morick
Solche Sichtbarmachungen von Geschlechtskrankheiten sind kein Phänomen des 21. Jahrhunderts, sondern begannen sich bereits im frühen 20. Jahrhundert zu entwickeln – jedoch zumeist weniger freizügig und mit anderen sozialen und moralischen Implikationen, als es heute der Fall ist. Trotz dessen war dies zeitgenössisch provokant, denn selbst das offene Thematisieren von Sexualität und den mit Scham behafteten Geschlechtskrankheiten war um 1900 neu.
Hintergrund: Die Verbreitung der Geschlechtskrankheit Syphilis
Syphilis galt zu dieser Zeit als die am weitesten verbreitete Geschlechtskrankheit. Da sich die Krankheit teilweise an sichtbaren Körperstellen zeigt, war ihr Anblick stärker Teil des Alltags als heute. Jedoch ist sie nicht verschwunden: Zwar ist sie seit der Entwicklung des Penicillins als Gegenmittel in den 1940er Jahren gut behandelbar. Für viele überraschend, stieg die Zahl an Ansteckungen mit Syphilis jedoch seit 2010 wieder auf etwa 8.000 jährlich an.
Wie bis heute nicht untypisch bei Geschlechtskrankheiten, wurden auch um 1900 bestimmte Personengruppen mit Syphilis assoziiert. Lange Zeit handelte es sich dabei vor allem um weibliche Prostituierte und die Krankheit galt als schambehaftet. Um das verbreitete Wissen über Syphilis zu beeinflussen, wurden sogenannte „Aufklärungskampagnen“ in den 1910er bis frühen 1930er Jahren durchgeführt, die es zum Ziel hatten, wissenschaftliches Wissen frei von moralischen Implikationen zu verbreiten. Dabei kamen insbesondere Visualisierungen, wie Poster, Lichtbildervorträge oder Ausstellungen zum Einsatz – die annehmen lassen, dass sie die Wissensaushandlung beeinflussten.
Das Promotionsprojekt „Krankheit als Wissensding“
Wie unterschieden sich diese Kampagnen von den heutigen? Wie wurde von den 1880er bis in die 1930er – und damit der Zeit, zu der Syphilis als Gefahr wahrgenommen wurde – auf visueller Ebene über die Krankheit informiert? Welchen Einfluss hatten die Visualisierungen auf die Aushandlung und Verbreitung von Wissen? Wer war daran beteiligt?
Um diesen und weiteren Fragen auf den Grund zu gehen, beschäftigt sich das geschichtswissenschaftliche Promotionsprojekt „Krankheit als Wissensding“ mit unterschiedlichen Visualisierungen und auch Materialisierungen von Syphilis. Seit Oktober 2020 werden diese „Wissensdinge“ sowohl in öffentlichen als auch in medizinischen Forschungskontexten analysiert.
Seit August 2021 profitiert das Projekt dabei insbesondere von der Zusammenarbeit mit dem am Institut angesiedelten, universitätsintern geförderten Projekt „Infection and Injustice. Narrative Responses to Pandemics”. Das Projekt ergänzte das Promotionsthema um die Frage, wie in Visualisierungen wie Postern oder Lichtbildern Narrative über Syphilis umgesetzt sein können.
Ziel des Projekts
Objekte und damit auch ihr Einfluss auf die Konstruktion von Wissen über Syphilis wurden in der bisherigen Forschung häufig nicht systematisch mitbetrachtet. Sie können jedoch schriftliche Quellen um zusätzliche Ebenen ergänzen und einen Beitrag dazu leisten nachzuvollziehen, wie unterschiedliche Akteursgruppen auch über andere Medien Wissen aushandelten und zu verbreiten versuchten. Dabei kamen sowohl in den Wissenschaften, z.B. der Dermatologie, als auch in öffentlichen Räumen (wie bei Ausstellungen oder Vorträgen) unterschiedlichste mediale Trends zum Einsatz. Daher nimmt das Projekt unterschiedliche Sichtbarmachungen von Krankheit in Objektform in den Blick. Dazu gehören unter anderem Wachsmoulagen bzw. Nachbildungen von Körperteilen aus Wachs, menschliche und tierische Gebeine, aber auch diverse Abbildungsformen wie Statistiken oder Fotografien. Über die Analyse dieser „Wissensdinge“ soll nachvollzogen werden, wie Krankheitsverständnisse auf visueller und materieller Ebene geformt werden können und welche Kommunikationsstrategien, Konflikte, In- und Exklusionsprozesse hier zum Tragen kommen.
Vielen Dank an Victoria Morick für die Ausarbeitung dieses Beitrags!
Wir freuen uns sehr, den folgenden Gastbeitrag zu den ethischen Implikationen von intelligenten Assistenztechnologien in der Demenzpflege von unserer Kollegin Frau Dr. Hanan AboJabel in englischer Sprache präsentieren zu dürfen.
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Intelligent assistive technology (IAT) is considered an innovative way to reduce the challenges associated with dementia care. Such technology can empower people with dementia (allowing them to live independently, autonomously and with privacy for a longer period of time) as well as their family caregivers (reducing the feeling of burden and worries). Despite these benefits, the willingness of people with dementia and their family caregivers to adopt IAT is still limited. Ethical (including invading the privacy of people with dementia and reducing human connection) and social (economic considerations, stigma, and ageism) issues play an important role in this context.
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Indeed, the perception of these issues may be related to cultural orientation. Take, for instance, a study I conducted with my colleague Johannes Welsch as part of the EIDEC-project, in which we compared the attitudes of Israeli and German experts regarding IAT in dementia care. We found that whereas the privacy of people with dementia was most highly prioritized by German experts, Israeli experts prioritized the safety of people with dementia over their privacy. Also, in contrast to German experts, Israeli experts raised a stigma towards people with dementia and saw the limited capacity of people with dementia to interact with technology as a major obstacle to the development and adoption of assistive systems. The differences between the perceptions of German and Israeli experts were explained by the higher emphasis that is put on values of individuality in Germany in comparison with Israel.
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Finally, I believe that ethical and social issues as well as cross-cultural values and preferences should guide policymakers and technology developers in designing, developing, and adopting IAT.
Vielen Dank an Hanan AboJabel für die Ausarbeitung dieses Beitrags!
Demenz – eine gesellschaftliche und persönliche Herausforderung
Demenz ist eine globale Herausforderung. Mehr als 55 Millionen Menschen sind weltweit betroffen. 1,3 Billionen Dollar kostet ihre Versorgung — eine Zahl mit 12 Nullen! Das ist beinahe das Dreifache des deutschen Bundeshaushalts. Und in den kommenden Jahren werden diese Zahlen weiter steigen: Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass bis 2050 weltweit über 130 Millionen Menschen von Demenz betroffen sein werden. Die Kosten werden sich bis 2030 verdoppeln.
Die großen Zahlen und die noch größeren Herausforderungen auf gesellschaftlicher Ebene dürfen nicht darüber hinwegtäuschen: Demenz ist vor allem und zuerst eine persönliche Herausforderung. Demenz ist für die Betroffenen mit einem fortschreitenden und unumkehrbaren Verlust ihrer geistigen Fähigkeiten verbunden: Die Vergesslichkeit nimmt zu, man verläuft sich immer öfters, und auch alltägliche Handlungen wie Kochen und Körperpflege fallen zunehmend schwerer. Auch für die Angehörigen ist die Demenz eines nahestehenden Menschen herausfordernd: Durch die Versorgung der Betroffenen im eigenen Haus, in der eigenen Wohnung leidet das eigene Sozial- und Berufsleben, finanzielle Belastungen nehmen zu und vor allem der psychische Stress setzt viele Angehörige unter Druck. Der Umzug in eine Pflegeeinrichtungen wird trotzdem von vielen Betroffenen und Angehörigen solange wie möglich hinausgezögert.
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Dabei können schon heute viele Menschen mit Demenz nicht mehr von ihren jüngeren Verwandten versorgt werden: Junge Menschen müssen häufig für Ausbildung, Studium, Beruf ihre Heimat verlassen und ziehen in weit entfernte Regionen. Gleichzeitig arbeiten — gerade in Deutschland! — zu wenige Menschen als Pflegefachkraft: zu unattraktiv, zu schlecht bezahlt, zu belastend ist der Beruf.
Intelligente Assistenztechnologien – die große Hoffnung
Wie kann vor diesem Hintergrund sichergestellt werden, dass Menschen mit Demenz auch in Zukunft gut versorgt werden? Politik und Gesellschaft setzen große Hoffnungen in sogenannte intelligente Assistenztechnologien. Schon heute gibt es eine Vielzahl solcher technischen Geräte: Mit GPS-Tracking-Systeme soll man Menschen mit Demenz, die sich verlaufen haben, leichter und schneller wiederfinden; moderne Navigationssysteme können den Betroffenen helfen, sich selbst wieder zu orientieren; das sogenannte Ambient Assisted Living unterstützt durch verbaute Sensoren die Alltagsbewältigung im eigenen Wohnumfeld; Roboter können Menschen mit Demenz in ihren täglichen Aufgaben unterstützen, an die Einnahme von Medikamenten erinnern und die pflegenden Angehörigen oder Fachkräfte bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten entlasten. An vielen weiteren Technologien mit unterschiedlichen Einsatzgebieten wird derzeit geforscht.
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Sie alle verfolgen mehrere Ziele: Die Lebensqualität von Menschen mit Demenz soll verbessert werden; die Angehörigen und beruflich Pflegenden sollen unterstützt werden; nicht zuletzt soll die Pflege effizienter gestaltet und damit das öffentliche Versorgungssystem finanziell entlastet werden. Die Hoffnungen sind so groß wie die Herausforderungen. Doch bislang gibt es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rahmenbedingungen und Folgen der Nutzung dieser intelligenten Assistenztechnologien. Können sie die Hoffnungen erfüllen und die gesteckten Ziele erreichen? Welche Chancen birgt ihr Einsatz und welche Risiken gehen mit ihm einher?
EIDEC – Ethische und soziale Aspekte Co-intelligenter Monitoring- und Asssistenzsysteme in der Demenzpflege
Um auf diese Fragen Antworten zu finden, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Projekt EIDEC (Ethische und soziale Aspekte Co-intelligenter Monitoring- und Assistenzsysteme in der Demenzpflege). Von 2019 bis Ende 2022 forschen wir interdisziplinär zu den Rahmenbedingungen, Chancen und Risiken intelligenter Assistenztechnologien in der Demenzpflege. Interdisziplinär bedeutet in diesem Fall, dass unser Team aus Ethiker*innen und Sozialwissenschafter*innen, aus Informatiker*innen und Ingenieurwissenschaftler*innen besteht.
In etwa 60 Interviews haben wir Menschen mit Demenz, ihre Angehörigen, beruflich Pflegende und Expert*innen aus Deutschland dazu befragt, welche Auswirkungen ihrer Meinung nach der Einsatz intelligenter Technologien in der Versorgung von Menschen mit Demenz hat. Allein mit den interviewten Expert*innen kamen 20 Interviews zusammen, die wir anschließend ausgewertet haben. Die Teilnehmer*innen kamen dabei aus den Bereichen der Technikforschung und -entwicklung, der Freien Wohlfahrtspflege, den Pflegeversicherungen, der Gesundheits- und Pflegepolitik, sowie der Interessenvertretung beruflich Pflegender. So konnten wir einen tiefen Einblick in die aktuellen Bewertungen deutschsprachiger Schlüsselpersonen von intelligenten Assistenztechnologien für die Demenzpflege gewinnen.
Digitale Pflege im Funkloch? – Rahmenbedingungen für intelligente Assistenztechnologien
Viele der Expert*innen haben betont, dass die Digitalisierung bereits den Alltag der allermeisten Menschen bestimmt: Wir nutzen Smartphones, kaufen online ein, treffen uns mit Freunden in Videochats und arbeiten digital von zuhause aus. Vieles davon gilt immer mehr auch für ältere Menschen. Die Bereitschaft, digitale Technologien und Systeme zu nutzen steigt. Gleichzeitig findet vieles, was die Digitalisierung ermöglicht, noch im Funkloch statt — oder eben nicht. Das kann man doppelt verstehen: Die Expert*innen betonten erstens, dass gerade in ländlichen Regionen und in Pflegeeinrichtungen die Anbindung an das Internet bislang verbesserungsbedürftig ist. Schnelles Internet ist für viele intelligente Technologien eine Grundvoraussetzung, in den meisten ländlichen Regionen aber einfach nicht vorhanden. In vielen Pflegeeinrichtungen haben die Bewohner*innen nicht einmal Zugriff auf ein WLAN.
Das Funkloch ist aber auch in einem übertragenen Sinn zu verstehen: Obwohl die Bereitschaft, digitale Technologien zu nutzen steigt, sind die notwendigen Kompetenzen dafür immer noch ungleich verteilt. Die Expert*innen stellten zweitens fest, dass gerade ältere Menschen bei der Nutzung von Smartphones und noch komplexeren Systemen Unterstützung brauchen. Zumindest am Anfang. Nicht jedem stehen dafür jüngere Angehörige zur Verfügung. Aber auch Informations- und Bildungsangebote zu digitalen Technologien sind bislang noch eine Ausnahme. Der Mangel sowohl an schnellem und stabilem Internet als auch an Informations- und Bildungsangeboten führt dazu, dass viele, gerade ältere Menschen heute noch von den Möglichkeiten der Digitalisierung ausgeschlossen sind. — Gerade wenn es um den Bereich der pflegerischen Versorgung geht.
Selbstbestimmt, überwacht, vereinsamt? – Chancen und Risiken für Menschen mit Demenz
In den Interviews haben wir die Expert*innen aber nicht nur nach den Rahmenbedingungen gefragt. Wir wollten auch wissen, wie sie die Chancen und Risiken intelligenter Assistenzsysteme für die Betroffenen einschätzen. Die Expert*innen hoben eine Chance besonders hervor: Intelligente Assistenzsystemen könnten dazu beitragen, dass Menschen mit Demenz länger in ihrem eigenen Wohnumfeld leben können. Das entspricht auch dem Wunsch der meisten älteren Menschen. Sensorsysteme, die Bewegungen registrieren, den Schlafrhythmus auswerten und Stürze erkennen können, können die Sicherheit der Betroffenen erhöhen. Digitale Erinnerungssysteme und unterstützende Roboter können die Betroffenen unabhängiger von Angehörigen und beruflich Pflegenden machen. Durch Videokonferenzsysteme können entfernt lebende Angehörige den Kontakt halten, und auch der Austausch mit Pflegefachkräften und Ärzt*innen wird erleichtert.
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Die Expert*innen wiesen aber auch auf Risiken hin: Um die genannten Chancen zu verwirklichen, müssen intelligente Assistenztechnologien viele Daten sammeln und auswerten; das könnte von vielen Menschen als Überwachung wahrgenommen und abgelehnt werden. Zugleich stellen sich Fragen nach der Sicherheit der Daten und Zugriffsberechtigungen. Außerdem befürchteten einige Expert*innen, dass die technisch gewährleistete Unabhängigkeit zu einer Vereinsamung der Betroffenen führen könnte: Weil diese eh sicher im eigenen Wohnumfeld sind, könnten Angehörige und beruflich Pflegende seltener vorbeikommen und der Kontakt nur noch digital, über Bildschirme stattfinden.
Wirklich entlastet? – Chancen und Risiken für Angehörige und beruflich Pflegende
Neben den Betroffenen selbst, sind auch die Angehörigen und beruflich Pflegenden wichtige Personen in der Versorgung von Menschen mit Demenz. Deshalb haben wir die Expert*innen auch nach den Chancen und Risiken intelligenter Assistenzsysteme für diese Gruppen gefragt. Dabei stellte sich heraus, dass die Expert*innen die größte Chance für pflegende Angehörige und Pflegefachkräfte in der Entlastung sehen: Der Einsatz intelligenter Assistenztechnologien kann sowohl zum körperlichen als auch psychischen Wohlbefinden dieser Gruppen beitragen. Roboter können bei der Umlagerung von bettlägerigen Menschen mit Demenz helfen oder bei der anstrengenden Körperpflege unterstützen; Sicherheitssysteme können dazu beitragen, dass Angehörige auch ihr eigenes Sozial- und Berufsleben pflegen und nicht 24 Stunden am Tag zuhause bleiben müssen; Videokonferenzsysteme ermöglichen es entfernt lebenden Verwandten, auch auf Distanz Kontakt zu den Betroffenen zu halten, und Pflegefachkräften auch im eng getakteten Alltag kurzfristig für ein Gespräch verfügbar zu sein.
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Andererseits bergen die intelligenten Assistenztechnologien auch Risiken für Angehörige und beruflich Pflegende. Die Überwachung der Betroffenen könnte sich so befürchteten einige Expert*innen, zu einer Sucht entwickeln. Angehörige und Pflegefachkräfte würden dann jederzeit wissen wollen, was der Mensch mit Demenz macht und wo er sich aufhält. Das würde dann neuen Stress auslösen und auch die Beziehung zwischen den Beteiligten belasten. Zusätzlich könnten durch die intelligente Assistenztechnologien selbst neue Belastungen entstehen: Anschaffung, Instandhaltung und Nutzung sind teilweise sehr teuer; gerade im privaten Umfeld bedeutet das zusätzlich finanzielle Belastungen. Für Pflegefachkräfte könnte der vermehrte Einsatz zu einer grundlegenden Veränderung des Berufs führen: Sie könnten sich in Zukunft mehr um die Technologien als um Menschen kümmern müssen. Im schlimmsten Fall würde die Wartung der Technologien ein zusätzlicher Arbeitsinhalt werden, den die Pflegefachkräfte zusätzlich in ihrem eng getakteten Arbeitsalltag bewältigen müssen.
Eine Aufgabe der Ethik ist es festzustellen, welche moralischen Einstellungen in der Gesellschaft verbreitet sind, und sie zu bedenken. Mit Blick auf intelligente Assistenzsysteme in der Demenzpflege haben wir das in unserem Projekt durch Interviews mit Menschen mit Demenz, ihren Angehörigen und Pflegenden, sowie Expert*innen getan. Eine weitere Aufgabe der Ethik ist es, aus diesen Ergebnissen normative Schlussfolgerungen zu ziehen. In unserem Fall heißt das: Ethiker*innen überlegen, wie der Einsatz intelligenter Assistenzsysteme so gestaltet werden kann, dass er für die beteiligten Personen gut ist und zu einem guten Leben, einer guten Versorgung von Menschen mit Demenz beitragen kann:
Es ist wichtig, dass alle Menschen mit Demenz Zugang zu schnellem und stabilem Internet haben. Nur so können sie von den Chancen und Möglichkeiten digitaler Assistenztechnologien profitieren. Um dies zu erreichen, muss sowohl in ländlichen Regionen als auch in Pflegeeinrichtungen die digitale Infrastruktur ausgebaut und gefördert werden.
Es ist wichtig, dass Menschen mit Demenz wissen, welche Chancen und Risiken mit dem Einsatz intelligenter Assistenztechnologien in ihrer Versorgung verbunden sind und dass sie wissen, wie man die Technologien sinnvoll nutzt. Nur mit diesem Wissen können sie vernünftig entscheiden, ob und in welchem Umfang sie eine Assistenztechnologie nutzen wollen — oder nicht. Um dies zu erreichen, müssen Bildungs- und Informationsangebote geschaffen und gestärkt werden. Diese müssen niedrigschwellig, lokal und zugehend seien.
Es ist wichtig, dass Menschen mit Demenz selbst entscheiden, welche Assistenztechnologien sie in welchem Umfang und in welcher Art und Weise nutzen wollen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Technologien dem Wohl der Betroffenen dienen und nicht aus ökonomischen Gründen oder zum Vorteil anderer Personen eingesetzt werden. Um dies zu erreichen, müssen sowohl in der häuslichen als auch der institutionellen Pflege Entscheidungsstrukturen etabliert werden, die den Bedarfen und Wünschen der Menschen mit Demenz Priorität einräumen. Wenn Betroffene sich gegen den Einsatz intelligenter Assistenzsysteme entscheiden, muss dies respektiert werden.
Um die Chancen von intelligenten Assistenztechnologien zu verwirklichen und ihre Risiken möglichst klein zu halten, muss sich ihr Einsatz zuerst und vor allem an den Bedarfen und Wünschen der Betroffenen ausrichten. Außerdem müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es jeder Betroffenen und jedem Betroffenen ermöglichen, an den Chancen der Digitalisierung teilzuhaben.
Wenn dies gewährleistet ist, können intelligente Assistenztechnologien einen wertvollen Beitrag zur Versorgung von Menschen mit Demenz und ihrer Lebensqualität leisten.
Ein internationales Gemeinschaftsprojekt untersuchte die Einstellung der Interessenvertreter zu Prädiktiven Tests und einer frühzeitigen Diagnose der Alzheimer-Krankheit
Die Verfügbarkeit eines Tests, der die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung der Alzheimer-Krankheit in den nächsten zehn Jahren vorhersagen könnte, klingt aufregend. Dank der jüngsten Fortschritte in der Erforschung von Biomarkern (biologischen Markern) und der Entwicklungen in der prädiktiven Medizin könnte es bald möglich sein, Personen mit einem hohen Risiko für die Entwicklung von spät einsetzender Alzheimer-Krankheit zu identifizieren, noch bevor die ersten Symptome auftreten. Die Nachfrage nach Tests nimmt zu, und Medienberichte werden höchstwahrscheinlich weiterhin ein solches öffentliches Interesse auslösen, obwohl es keine Heilung und keine wirksamen Behandlungsmöglichkeiten gibt, wobei letztere wahrscheinlich mit großen psychischen Belastungen einhergehen und Unsicherheiten hinsichtlich der Vorhersagekraft der Tests bestehen.
Die Verwendung von Biomarkern wird im klinischen Kontext noch nicht empfohlen. Die psychosozialen, ethischen und kulturellen Aspekte der Informationen über Demenzrisiko, einschließlich prädiktiver biomarkerbasierter Tests und biomarkerbasierter Formen der Frühdiagnose in präklinischen Stadien der Demenz, müssen noch erforscht werden. Unser Projekt „Warum Wissen oder Nicht-Wissen? Die Einstellungen von Interessenvertretern (Stakeholdern) zur Diagnose ‚Prodromale Demenz‘: Psychosoziale und ethische Auswirkungen im Interkulturellen Vergleich“ (Laufzeit: 2018 – 2021, Förderung: Deutsch-Israelischen Stiftung für Wissenschaftliche Forschung und Entwicklung, GIF) berühren diese drängenden Fragen.
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Was haben wir getan?
In unserer Studie untersuchten wir mit empirischen Methoden die Erfahrungen, Einstellungen und Bedenken der wichtigsten Interessengruppen (d. h. Personen mit leichten neurokognitiven Störungen, ihre Angehörigen, Familienmitglieder von Menschen mit Demenz, Experten und Laien). Wir haben Fokusgruppen und Interviews mit den relevanten Stakeholder-Gruppen durchgeführt. Wir wollten herausfinden, ob die Unterschiede in der Einstellung zu AD-Tests auf kultureller Ebene variieren. Deshalb wurden in unsere Studie Teilnehmer*innen aus Deutschland und Israel einbezogen. Da viele Studien zu verschiedenen bioethischen Themen bereits gezeigt haben, dass die Einstellungen des Menschen durch die in den nationalen Kontexten verankerten kulturellen Werte beeinflusst werden können, haben wir uns zum kulturellen Vergleich auf Deutschland und Israel bezogen.
Unsere Ergebnisse in Kürze
Wir ermittelten psychosoziale Aspekte (z.B. Stigmatisierung), ethische Aspekte (z.B. moralische Beweggründe, d.h. grundlegende moralischen Haltungen oder Meinungen) und kulturelle Aspekte (z.B. Wechselbeziehungen, Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Interessengruppen auf nationaler und länderübergreifender Ebene) von Informationen über Demenzrisiken (d.h. prädiktive Tests und eine sehr frühe Diagnose im präklinischen Stadium der Alzheimer-Krankheit). Unsere Ergebnisse zeigen, dass es in beiden Ländern keine starke Tendenz zugunsten von prädiktiven Tests und Frühdiagnosen gibt. Die Entscheidungen und Einstellungen der oben genannten Interessengruppen wurden stark von der Angst vor der Krankheit und dem Fehlen einer Heilung (Vergeblichkeit) bestimmt. Wir stellten aber auch einige Unterschiede fest, die sowohl auf kultureller Ebene als auch zwischen den Gruppen variieren, wie z.B. eine größere Betonung der Autonomie bei den deutschen Teilnehmer*innen und eine größere Betonung des Vertrauens in die eigene Familie bei den israelischen Teilnehmer*innen.
Was kommt als Nächstes?
Unsere Studie unterstreicht die Bedeutung einer detaillierten, multiprofessionellen Beratung für die zukünftige Lebensplanung und die Information der Personen, die einen prädiktiven Test nutzen möchten, sowie ihrer Familien.
Das Fazit unserer Studie lautet, dass prädiktive Informationen mit moralischen und psychosozialen Dilemmata einhergehen. Einerseits kann es von Vorteil sein, darüber informiert zu werden, dass man ein Risiko hat (z.B. für Planung des späteren Lebens durch die Organisation der Pflege, Vorbereitung von Patientenverfügungen und frühzeitige Unterstützung), andererseits kann es auch schädlich sein (z.B. durch Stigmatisierung, Diskriminierung). Die Diskussion über ethische und rechtliche Fragen, wie und wann Informationen über prädiktive Risiken offengelegt werden sollen, geht weiter. Es bestehen keine klaren Leitlinien, die medizinischen Fachkräften detaillierte Empfehlungen geben sollten für die Offenlegung der auf Biomarkern basierenden Tests für die Früherkennung der Alzheimer-Krankheit. Mit dem technologischen Fortschritt wird die Anwendung von Biomarkern wahrscheinlich bald Teil der täglichen klinischen Routine werden. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, dass das Gesundheitssystem auf solche Situationen vorbereitet ist (z.B. durch die Einrichtung multiprofessioneller Beratungsdienste, die Bedeutung der Kommunikation, den Bedarf an Forschung usw.). Wir hoffen, dass die empirischen Ergebnisse unserer Studie in die Entwicklung von Leitlinien für die Kommunikation von Demenzrisiken im klinischen Umfeld einfließen werden.
Jahrestagung, Göttingen, Juni 2019. Vlnr.: Dr. Zümrüt Alpinar Sencan (Projektkoordinatorin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin), Prof. Dr. Silke Schicktanz (Leiterin des deutschen Forschungsteams), Prof. Dr. Perla Werner (Leiterin des israelischen Forschungsteams), Dr. Natalie Ulitsa (Wissenschaftliche Mitarbeiterin)
Das Projekt wurde in Zusammenarbeit von Prof. Silke Schicktanz, Dr. Zümrüt Alpinar Sencan von der Universitätsmedizin Göttingen, Deutschland, und Prof. Perla Werner, Dr. Natalie Ulitsa von der Universität Haifa, Israel, durchgeführt. Die Ergebnisse sind von unschätzbarem Wert, denn es wurden mehrere hochwertige Publikationen veröffentlicht und ein internationales Online-Symposium veranstaltet, auf dem die aktuelle Demenzforschung, Vorhersage und Risikominderung diskutiert werden. (Detaillierte Informationen finden Sie unter https://egmed.uni-goettingen.de/de/forschung/altersmedizin-demenz//)
Unter welchen Bedingungen sind Menschen bereit, Einschränkungen des öffentlichen Lebens, der Wirtschaft und der Gesundheitsversorgung im Zuge sogenannter Lockdown-Maßnahmen zum Zwecke der Pandemie-Bekämpfung zu akzeptieren? Dies untersucht eine Studie unter Führung der Health Economics Research Unit der University of Aberdeen unter Mitwirkung eines Mitarbeiters des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen, zu der nun erste Ergebnisse veröffentlicht wurden.
Hintergrund
Zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie haben Regierungen weltweit zu sogenannten Lockdown-Maßnahmen gegriffen. Diese haben die Begrenzung menschlicher Kontakte zum Ziel, wodurch die Ausbreitung des Virus verlangsamt oder gestoppt werden soll. Lockdown-Maßnahmen bringen nicht nur Einschränkungen des öffentlichen Lebens mit sich – etwa durch den Stopp von Großveranstaltungen oder Kontaktbeschränkungen – sondern haben auch Auswirkungen auf die Wirtschaft und die Gesundheitsversorgung, in letzterer Hinsicht beispielsweise durch die Verzögerung von aufschiebbaren Operationen.
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Die Effektivität von Lockdown-Maßnahmen hängt maßgeblich von der Mitwirkung der Bevölkerung ab. Deswegen ist es besonders wichtig, dass diese bereit ist, die beschlossenen Einschränkungen mitzutragen und dass Sinn und Zweck der Maßnahmen angemessen kommuniziert werden.
In einer großangelegten Studie haben Forscher aus Aberdeen und Göttingen nun untersucht, unter welchen Bedingungen britische Bürger bereit sind, Lockdown-Maßnahmen zu akzeptieren.
Vorgehen
Die Studie stützt sich auf eine Umfrage unter 4120 Erwachsenen aus England, Schottland, Wales und Nordirland. Probanden wurden gebeten, zwischen verschiedenen hypothetischen Lockdown-Szenarien zu wählen, die sich hinsichtlich der Effektivität, des Grades der Einschränkungen, sowie der Länge der Lockdown-Maßnahmen unterschieden und unterschiedliche Effekte auf das persönliche Einkommen, die Arbeitslosenzahlen des Landes und auf die Bereitstellung der Gesundheitsversorgung hatten. Die Szenarien unterschieden sich auch hinsichtlich der Anzahl der Leben, die durch eine verlangsamte Verbreitung des Virus voraussichtlich gerettet werden könnten (siehe Bild).
Bild: Luis Loria
Mittels dieser sogenannten „Discrete Choice Experiment“-Methode kann ermittelt werden, welche Kompromisse Probanden bei der Bewertung dieser Szenarien eingehen. Dabei lassen sich Vergleiche zwischen verschiedenen Eigenschaften von Lockdowns anstellen, indem ermittelt wird, wie sich eine Veränderung der Lockdown-Eigenschaften auf die Präferenz zur voraussichtlichen Rettung von Leben auswirken. Die zugrundeliegende Vermutung ist hier, dass Menschen zu stärkeren Einschränkungen bereit sind, sofern die damit verbundenen Maßnahmen mehr gerettete Leben durch eine Verlangsamung der Ausbreitung des Virus zur Folge haben. Die relative Wichtigkeit von Lockdown-Eigenschaften lässt sich somit dadurch ermitteln, dass errechnet wird, wie viele zusätzliche Leben gerettet werden müssten, damit eine Einschränkung akzeptiert wird. Je größer diese Zahl, desto stärker also die Ablehnung einer solchen Einschränkung. Weitere Informationen zum methodischen Vorgehen der Studie wurden bereits 2021 im Fachjournal BMJ Open veröffentlicht.
Ergebnisse
Eine Mehrheit der Befragten war bereit, eine höhere Sterblichkeit zu akzeptieren im Austausch gegen Lockdown-Maßnahmen, die weniger strikt oder kürzer sind oder keine Verzögerungen bei verschiebbaren Operationen zur Folge haben. Rund ein Fünftel der Befragten war um keinen in der Befragung vorgesehenen Preis bereit, eine höhere Sterblichkeit zu akzeptieren. Eine solche Priorisierung der Sterblichkeit kam bei Menschen mit höheren Bildungsabschlüssen häufiger vor. Menschen in England hatten eine größere Abneigung gegen strikte Lockdown-Maßnahmen als Menschen in Schottland, Wales und Nordirland und waren bereit eine höhere Sterblichkeit im Austausch gegen eine Lockerung der Maßnahmen zu akzeptieren.
Weitere Forschung
Zusätzlich zu demographischen Daten und Lockdown-Präferenzen erhob die Studie auch, welche Rolle moralische Überzeugungen für die Probanden spielten. Durch die Auswertung dieser Daten erhofft sich das Team Aufschlüsse über den Effekt moralischer Werte auf die Kompromissfindung in schwierigen moralischen Entscheidungssituationen. Durch eine bessere Anpassung der Lockdown-Maßnahmen an die Überzeugungen der Bevölkerung könnten politische Entscheidungsträger die Akzeptanz und somit auch die Effektivität der Maßnahmen maßgeblich steigern. Unter Bezugnahme auf, und Berücksichtigung von, moralischen Werten, die der Bevölkerung besonders wichtig sind, könnte zudem effektiver für angemessene Lockdown-Maßnahmen geworben werden. Eine entsprechende Publikation ist in Arbeit.
Bis Ende Januar 2022 wurde die Corona-Warn-App über 41 Millionen Mal heruntergeladen1. Pandemie-Apps wie die Corona-Warn-App sollen dabei helfen, Infektionsketten nachzuvollziehen und zu unterbrechen, indem sie Nutzer*innen vor Risikokontakten warnen und diesen zugleich die Chance bieten, eine eigene Infektion anonymisiert mitzuteilen. Auf diese Weise bergen Pandemie-Apps zusätzlich das Potenzial, auf das Sicherheits- und Unsicherheits-Empfinden ihrer Nutzer*innen einzuwirken. Aber wie genau funktionieren Pandemie-Apps eigentlich? Sind sie ein neutrales technologisches Werkzeug zur Bekämpfung einer Pandemie? Und welche Chancen und Risiken sieht die Zivilgesellschaft in ihnen? Das Projekt „Unser Gesundheitswesen von morgen: Digitalisierung – Künstliche Intelligenz – Diversität“, das vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur aus Mitteln des Niedersächsischen Vorab gefördert wird, hat sich genau diese Fragen gestellt und im Rahmen eines innovativen Online-Bürgerforums nach möglichen Antworten gesucht.
„Es fehlen bislang Diskussions- und Reflexionsforen, die auch der Vielfalt von Ansichten, Werten und Perspektiven von Bürger*innen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gezielt Rechnung tragen“, erklärt die Leiterin des Projektes, Frau Professorin Dr. Silke Schicktanz vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen, die Motivation hinter dem Projekt. Das Online-Bürgerforum wurde als Reaktion auf diese Leerstelle entwickelt und begreift die Diskussion medizinethischer Themen als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Direkte Bürgerbeteiligung
Doch was ist ein Bürgerforum überhaupt? Kurz gesagt: ein Bürgerforum ist eine Form der direkten Bürgerbeteiligung, in dessen Rahmen sich Personen aus der Zivilgesellschaft zusammenfinden und ein gesellschaftlich relevantes Thema diskutieren. Im Rahmen des Forums bekommen die Bürger*innen die Chance, Expert*innen zum jeweiligen Thema zu befragen, um sich auf diese Weise eine informierte Meinung bilden zu können. Am Ende eines Bürgerforums soll ein gemeinsames Positionspapier entstehen, das als Handlungsempfehlung an relevante Entscheidungsträger*innen aus der Politik, der Wissenschaft oder der Forschung übergeben werden kann.
„Bei deliberativen Ansätzen zur Bürgerbeteiligung steht der Austausch zwischen Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Politik im Vordergrund“, so Dr. Ruben Sakowsky, der das Bürgerforum gemeinsam mit Julia Perry organisierte und moderierte. „Sozialwissenschaftliche Forschung zu den Präferenzen und Standpunkten von Bürgern und Betroffenen in Gesundheitsfragen wird hier nicht als Einbahnstraße konzipiert, sondern als eine Form des Dialogs auf Augenhöhe. Es freut uns sehr, dass wir für diese wichtige Form der Partizipation neue Online-Methoden erproben konnten, die die zivilgesellschaftliche Beteiligung an Fragen der Gesundheitsforschung und -politik weiter voranbringen.“
Zum Feedback von Pandemie-Apps
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Im November 2021 war es soweit: 10 Studierende2 aus verschiedenen Fachrichtungen der Georg-August-Universität Göttingen sowie der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg fanden sich an drei Abenden via Zoom jeweils für zwei bis drei Stunden zusammen, um gemeinsam über Pandemie-Apps zu diskutieren. Unter dem Titel „Forschungsorientierte Pandemie-Apps“, womit Programme verstanden werden, die auf Smartphones von Nutzer*innen laufen und Daten für die Gesundheitsforschung zum Zwecke der Untersuchung von pandemischen Infektionskrankheiten bereitstellen, stand insbesondere das Feedback-Verhalten solcher Apps im Blickpunkt. Diskutiert wurde unter anderem die Frage, welche Rückmeldungen diese ganz konkret an ihre Nutzer*innen ausgeben. Das können zum einen generelle Informationen sein, beispielsweise zum sicheren Verhalten während einer Pandemie. Zum anderen aber bezieht sich Feedback auch auf aufbereitete und personalisierte Informationen, die auf Grundlage von Nutzerdaten hergestellt werden – beispielsweise zum persönlichen Infektionsrisiko, das über eine Prozentangabe oder eine Warnampel dargestellt werden kann.
Feedback stellt somit eine Möglichkeit dar, Nutzer*innen von Pandemie-Apps im Austausch für die Daten, die sie der Forschung bereitstellen, eine Gegenleistung in Form nützlicher Informationen anzubieten. Neben dem offensichtlichen Nutzen eines solchen Feedbacks für ihre Nutzer*innen, stellen sich dennoch eine Reihe ethischer Herausforderungen, beispielsweise hinsichtlich ihrer Datenbasis. Um einige dieser komplexen Fragestellungen faktenbasiert diskutieren zu können, bekamen die Studierenden die Möglichkeit, drei Expert*innen aus verschiedenen Disziplinen zum Thema zu befragen.
Argumentieren auf Faktenbasis
Am ersten Tag des Bürgerforums erläuterte Dr. Tina Jahnel vom Leibniz WissenschaftsCampus Digital Public Health der Universität Bremen was Pandemie-Apps eigentlich sind, wofür sie eingesetzt werden und welche Herausforderungen sich durch ihren Einsatz stellen können. Sie beleuchtete darüber hinaus, welche Formen des Feedbacks durch Pandemie-Apps denkbar sind. Herr Professor Dr. Rüdiger Pryss vom Institut für Klinische Epidemiologie und Biometrie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg erweiterte diese Ausführungen am zweiten Tag um die technischen Details der App-Entwicklung und erklärte anhand konkreter Beispiele aus der eigenen Forschung den Nutzen und die Bedeutung von Feedback in der Entwicklung von Gesundheits-Apps. Diese Ausführungen bereicherte Dr. Joschka Haltaufderheide vom Institut für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Ruhr-Universität Bochum schließlich um die ethischen Dimensionen des App-Feedbacks. Anhand der Corona-Warn-App stellte er die Beziehungen von Technologie und Nutzer*innen beispielhaft dar.
Die Expert*innen.Von links nach rechts: Dr. Tina Jahnel (Universität Bremen), Prof. Dr. Rüdiger Pryss (Universität Würzburg), Dr. Joschka Haltaufderheide (Universität Bochum)
Nach jedem Vortrag bekamen die Studierenden die Möglichkeit, mit den Expert*innen ins Gespräch zu kommen, um so offene Fragen zu klären. Im Anschluss daran diskutierten die Studierenden in einem Zoom-Breakout-Raum untereinander über das Für und Wider bestimmter Feedback-Arten und über mögliche Ansätze für Verbesserungen gegenwärtiger Pandemie-Apps wie der Luca-App oder der Corona-Warn-App. Mithilfe der Software Miro, einem browserbasierten, interaktiven Whiteboard, visualisierten die Studierenden ihren aktuellen Arbeitsstand. So arbeiteten sie mittels verschiedener Online-Tools zwar räumlich getrennt, aber dennoch gemeinsam an problemorientierten Fragen. Unterstützt wurden sie dabei von den Moderator*innen des Projektteams, Dr. Ruben Sakowsky und Julia Perry.
Zu Beginn des dritten Tages bekamen die Teilnehmenden von der Moderation schließlich eine Einführung in das Schreiben von Handlungsempfehlungen mit themenunabhängigen Beispielen und Vorschlägen zur konkreten Umsetzung und Ausgestaltung. Anschließend arbeiteten die Studierenden auf Grundlage der gemeinsamen Diskussionsergebnisse einen Entwurf für eine Handlungsempfehlung aus, die sich an die wissenschaftliche Gesundheitsforschung richten sollte. Eine interne Redaktionsgruppe, die die Studierenden am Ende von Tag 3 bestimmten, arbeitete diesen Entwurf schließlich zu einem Fließtext aus, ehe dieser im Plenum final diskutiert und konsentiert wurde.
Im Dialog mit der Gesundheitsforschung
Am 26. Januar 2022 übergaben drei der Studierenden (Gilbert Hövel, Janina Scholz und Lara Wiechers) stellvertretend für die gesamte Gruppe die Handlungsempfehlung an Frau Professorin Dr. Dagmar Krefting, Direktorin des Instituts für Medizinische Informatik der Universitätsmedizin Göttingen. Sie leitet das Projekt „Coordination on mobile pandemic apps and solution sharing“, kurz COMPASS3, welches sich dem Aufbau einer bundesweiten Plattform widmet, die sich die „Bereitstellung konkreter Methoden und Werkzeuge für den Einsatz von Gesundheitsapps in einer Pandemie“4 zum Ziel gesetzt hat. Prof. Krefting erläuterte im Rahmen des Zusammentreffens die Wichtigkeit einer einheitlichen Koordination von Projekten und Ressourcen, um effektiv App-Lösungen für die gegenwärtige Pandemie zu schaffen. Das „Netzwerk Universitätsmedizin“, welches den Zusammenschluss und die Kooperation aller 36 bundesweiten Universitätskliniken bezeichnet, sei ein weiterer Schritt, um der Pandemie im Verbund zu begegnen.
Im Anschluss an die Vorstellung des COMPASS-Projektes stellten die Studierenden einzelne Punkte ihrer Handlungsempfehlung vor. So sollten Nutzer*innen von Pandemie-Apps zum Beispiel die Möglichkeit bekommen, freiwillig mehr Daten preiszugeben, um dafür im Gegenzug ein umfangreicheres Feedback zum eigenen Ansteckungsrisiko zu erhalten. Darum sei es überdies sinnvoll, auch Angaben zum genauen Ort und der Zeit von Kontakten machen zu können, um so eine bessere Aufklärung bei Risikokontakten zu gewährleisten. Prof. Krefting begrüßte diese Anregung und verwies auf die informationelle Selbstbestimmung von Nutzer*innen, von der diese auch durch freiwillige Datenspenden Gebrauch machen könnten. Um dies vollumfänglich zu gewährleisten, müssten Pandemie-Apps funktional offener werden als sie es gegenwärtig sind.
Die Übergabe der Handlungsempfehlung via Zoom. Von links nach rechts: Sabrina Krohm, Dr. Ruben Sakowsky, Julia Perry, Janina Scholz, Gilbert Hövel, Prof. Dr. Dagmar Krefting, Prof. Dr. Silke Schicktanz, Lara Wiechers
Darüber hinaus regten die Studierenden in ihrer Handlungsempfehlung an, dass neben den üblichen Warnhinweisen, die beispielsweise nach einem positiven Corona-Test einer Kontaktperson in der App erscheinen, auch positiv konnotiertes Feedback ermöglicht werden sollte, zum Beispiel darüber, wie vielen Personen die eigene Datenspende geholfen hat. Auch im sogenannten onboarding von forschungsorientierten Pandemie-Apps im Allgemeinen seien laut der Handlungsempfehlung noch Potenziale zur Verbesserung. Das onboarding bezieht sich darauf, auf welche Weise neue Nutzer*innen bei der ersten Anwendung in eine App eingeführt werden. Damit das gelingt, sei es laut der Studierenden wichtig, dass die App nach der Installation Hilfestellungen dazu gibt, wie die verschiedenen Warnmeldungen einzuordnen sind sowie eine detaillierte Aufklärung darüber, was mit den eigenen Daten geschieht und inwiefern diese bei der Aufdeckung von Infektionsketten hilfreich sein können.
Prof. Schicktanz diskutierte gemeinsam mit ihrem Team, den Studierenden sowie Prof. Krefting anschließend über die Nützlichkeit zivilgesellschaftlicher Perspektiven in der Gesundheitsforschung und richtete den Blick auch auf die Zukunft partizipativer Formate. Die engagierte Mitarbeit der Studierenden habe gezeigt, dass solche Formate zukunftsfähig seien und zusätzlich einen wichtigen Beitrag zur wissenschaftlichen Methodik von Online-Bürgerbeteiligung leisten können, so Prof. Schicktanz. Auch Prof. Krefting bekräftigte noch einmal die positive Signalwirkung eines solchen Projektes, da es zeige, dass man kein abgeschlossenes Studium hinter sich gebracht haben muss, um sich zivilgesellschaftlich einzubringen und die Forschung voranzutreiben. Auch die Studierenden äußerten sich positiv über ihre Teilnahme am Bürgerforum. Es sei schön zu sehen, so eine Teilnehmerin, dass die eigenen Ergebnisse auch tatsächlich einen Einfluss auf die Forschung hätten.
Einen herzlichen Dank an Kai Hornburg für die Ausarbeitung dieses Beitrags.
Wenn es um die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf das Leben in westlichen Gesellschaften geht, wird häufig ein Begriff aus der Optik bemüht: das Brennglas. Eine gläserne Linse oder Lupe wirkt als Brennglas, wenn das einfallende Licht durch sie gebündelt wird und einen Punkt hinter der Linse dadurch erhitzen kann – so sehr, dass z.B. Papier oder Holz Feuer fangen kann.
Im Kontext der Corona-Krise lässt sich sagen, dass bestimmte Bedingungen in unserer Gesellschaft vor der Pandemie bereits nah am Brennpunkt waren: gesellschaftliche Ungleichheiten, die nun so erhitzt werden, dass das sprichwörtliche Pulverfass zu explodieren droht. Eine weitere Ebene der Metapher liegt näher am Alltagsgebrauch der optischen Linse: Sie kann helfen, blinde Flecken sichtbar zu machen, also Konflikte und Probleme, die eher im Verborgenen lagen und jetzt deutlicher zutage treten.
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Dieser Blogbeitrag stellt ein Forschungsprojekt am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin vor, welches sich einem bestimmten Problem im Brennpunkt des Gesundheitswesens widmet: der Verteilung von knappen Ressourcen.
Ressourcen im Gesundheitswesen, das kann viel bedeuten: Einerseits geht es dabei um materielle Ressourcen, also z.B. Medikamente, Schutzausrüstung oder medizintechnische Geräte – beziehungsweise das Geld, um diese zu kaufen. Andererseits kann ein Gesundheitswesen nur gut funktionieren, wenn auch ausreichend nicht-materielle Ressourcen – wie ausgebildetes Personal – zur Verfügung stehen.
Knappe Ressourcen in der Corona-Krise
Ein bestimmtes Schlagwort fällt verlässlich, wenn es um Covid-19 und die Verteilung von medizinischen Ressourcen geht: Triage. Der französische Begriff aus der Katastrophenmedizin beschreibt einen Vorgang, in dem für mehrere Patient*innen, die alle sehr plötzlich eine bestimmte medizinische Behandlung benötigen, eine Rangfolge gebildet wird, nach der sie behandelt werden. Das ist auf der einen Seite ein gewöhnlicher Vorgang, der so in jeder Notaufnahme tagtäglich, auch außerhalb der Corona-Krise passiert. Die schwerverletzte Patientin nach einem Verkehrsunfall wird sofort behandelt, während der Patient mit dem verstauchten Knöchel warten muss. Kritisch wird es, wenn die Kapazitäten nicht ausreichen, sodass manche Patient*innen trotz eines schweren Krankheitsbilds gar nicht behandelt werden können. Dabei kann es sich für das medizinische Personal und die Patient*innen um dramatische und traumatisierende Erfahrungen handeln – gegebenenfalls wird über Leben und Tod entschieden. In der Anfangszeit der Pandemie erreichten uns Berichte z.B. aus China, Italien, den USA und Frankreich über die Knappheit von Beatmungsgeräten und die tragischen Entscheidungen, die im Zusammenhang damit getroffen werden mussten. In bestimmten Regionen in Frankreich und Italien wurden in den schlimmsten Phasen der Pandemie ausdrückliche Altersgrenzen für die Triage festgelegt. Die Patient*innen über einem bestimmten Alter wurden dann nicht an die knappen Beatmungsgeräte angeschlossen.
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In Deutschland haben diese Nachrichten für viele Menschen ein Bewusstsein über die Bedrohung durch Covid-19 geschaffen. Seitens der Politik wurden die ersten Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie angestoßen. Zur Triage nach festen Altersgrenzen kam es in Deutschland nicht. Die Knappheit von Ressourcen wie Schutzausrüstung und Personal hatte jedoch schwerwiegende Folgen für den Arbeitsalltag im Krankenhaus.
Die Auswirkungen solcher Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen stellen ein zentrales Problem dar, das von Medizinethiker*innen schon vor der Corona-Krise ausgiebig diskutiert wurde.
Ressourcenverteilung in der Medizinethik
Bereits seit einigen Jahren steht fest, dass die Ressourcen im Gesundheitswesen knapper werden. Das ist zum Beispiel bedingt durch den medizinischen Fortschritt, der neue, wirksamere und oftmals teurere Innovationen mit sich bringt. Auch die Alterung der Gesellschaft lässt die Gesundheitsausgaben steigen. Deshalb wird seit einer Weile über Strategien diskutiert, wie mit den chronisch knappen Ressourcen im Gesundheitswesen gerecht umgegangen werden sollte. Zuallererst steht dabei als Ziel fest, mit den verfügbaren Mitteln so effizient umzugehen, dass mit ihnen mehr erreicht werden kann – und nichts verschwendet wird (Rationalisierung). Ist das nicht ausreichend, kann es zur Priorisierung kommen – eine Rangfolge wird gebildet. Manche Patient*innen müssen dann auf ihre, zunächst aufgeschobene, Behandlung warten. Wenn bestimmte Patient*innen aber überhaupt nicht behandelt werden, obwohl die Therapie einen medizinischen Nutzen hätte, wird das Rationierung genannt.
Krankenhäuser sind komplexe Organisationen, in denen Mitarbeitende unterschiedlicher Berufsgruppen in diversen Abteilungen zusammenarbeiten. Bild: shutterstock.com / blue planet studio
Das Ziel der Studie am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin ist es, die Mitarbeitenden in Krankenhäusern zu Wort kommen zu lassen. Wie schätzen sie die Probleme und Herausforderungen der Corona-Krise im Hinblick auf Ressourcenknappheit und -Verteilung im Krankenhaus ein? Was ist ihre Vorstellung von gerechter Ressourcenverteilung während dieser Pandemie? Welche Herausforderungen bestehen bei der Kommunikation und Umsetzung der Maßnahmen zur Ressourcenverteilung im Krankenhaus? Wir haben diese Fragen am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin unter die Lupe genommen und möchten hier bereits einige vorläufige Ergebnisse teilen.
Ergebnisse der Studie
Bisher haben wir 17 Mitarbeitende in fünf kleineren Krankenhäusern der Grund-und Regelversorgung in der Region Göttingen befragt. Wir haben auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Angestellten aus der Verwaltung und Geschäftsführung, dem pflegerischen und ärztlichen Personal aus unterschiedlichen Fachbereichen geachtet. Alle Interviews fanden telefonisch oder per Videokonferenz statt. Die aufgezeichneten Gespräche wurden verschriftlicht und anschließend inhaltlich analysiert.
Materielle Ressourcen
In allen befragten Gruppen spielte die Ressource Persönliche Schutzausrüstung erwartungsgemäß eine große Rolle. In der Anfangszeit der Pandemie wurde die Knappheit an Schutzmasken, Visieren und Kitteln als kritisch bewertet. Die Kliniken mussten große finanzielle Mittel aufwenden, um ihre Mitarbeitenden möglichst ausreichend auszustatten. Dabei wurden Prioritäten gesetzt: Damit insbesondere die Mitarbeitenden in Bereichen mit Kontakt zu (potenziellen) Covid-19-Patient*innen gut geschützt sind, gab es hier mehr Masken, Visiere und Kittel. Neben der Schutzausrüstung brachte auch das Testen auf Covid-19 Herausforderungen mit sich. Durch die begrenzten Kapazitäten im Krankenhaus war es nicht immer möglich, alle Patient*innen in einer Aufnahmestation zu isolieren, bis ein negatives PCR-Testergebnis vorlag. Insbesondere wenn keine typischen Covid-19-Symptome vorlagen, mussten die weniger verlässlichen Antigen-Schnelltests zur Überbrückung eingesetzt werden.
Personal und Kommunikation
Die Auswirkungen der Personalknappheit waren ein weiterer sehr wichtiger Punkt, der in den Interviews häufig angesprochen wurde. Insbesondere Pflegende haben berichtet, dass die Corona-Krise für sie eine besondere Arbeitsbelastung darstellte. Zu der klassischen pflegerischen Arbeit kamen zusätzliche Aufgaben, zum Beispiel in der Kontaktnachverfolgung und der Kommunikation mit den Gesundheitsämtern. Außerdem wurden sie vermehrt telefonische Ansprechpartner für die Angehörigen der Patient*innen, weil persönliche Besuche im Krankenhaus eingeschränkt wurden. Insbesondere die befragten Ärzt*innen schätzten zudem die Folgen der Ressourcenknappheit für die Patient*innen als bedenklich ein. Behandlungen für andere Erkrankungen als Covid-19, wie z.B. geplante Operationen und diagnostische Prozeduren mussten zeitweise aufgeschoben werden und Patient*innen hätten teilweise Sorgen gehabt, sich überhaupt ins Krankenhaus zu begeben.
Krankenhäuser sind komplexe Organisationen mit vielen unterschiedlichen Gruppen und Hierarchien. Die Kommunikation der Corona-bedingten Maßnahmen innerhalb des Krankenhauses war deshalb eine besondere Herausforderung. Damit Entscheidungen alle Mitarbeitenden erreichten, wurden neue Informationswege wie regelmäßige Newsletter und Rundmails geschaffen. Es wurde berichtet, dass es leider nicht immer gelungen sei, dass alle Entscheidungen in den unterschiedlichen Abteilungen und Berufsgruppen gleichermaßen mitgeteilt und mitgetragen wurden.
Bewertung und Ausblick
Viele der Interviewten bewerten die Umstrukturierungen, die im Krankenhaus durchgeführt wurden, trotz der großen Herausforderungen insgesamt als positiv. Die Belegschaft sei insgesamt – trotz Social Distancing – enger zusammengerückt. Man habe gemerkt, was in einer Krisensituation alles möglich ist und welche Probleme unter großen Anstrengungen und mit Teamwork zu bewältigen sind.
Für die Strukturen und Abläufe in den Krankenhäusern stellt die Corona-Krise eine echte Belastungsprobe dar. Hinsichtlich der Verteilung von knappen Ressourcen wurden einige Herausforderungen in dieser Studie unter die Lupe genommen. Die Sicht der Mitarbeitenden darauf kann nun besser dargestellt werden. Weitere Forschung ist nötig, um das Gesundheitswesen besser auf Krisen wie die Covid-19-Pandemie vorzubereiten.
Die ausführliche Auswertung des gesamten Projekts wird als Dissertation (medizinische Doktorarbeit) am Institut für Ethik und Geschichte der Medizin veröffentlicht. Sie können zukünftige Publikationen der Projektwebsite entnehmen.
Einen herzlichen Dank an Clemens Schmidt für die Ausarbeitung dieses Beitrags.
Unter dem Titel „Daten – Selbst – Bestimmen. Chancen, Risiken und Konzepte digitalisierter Medizin“ wird am 26. Oktober 2021 von 19:30 bis 21:00 Uhr im Rahmen der „Zukunftsdiskurse“ die Zukunft des deutschen Gesundheitswesens diskutiert. Für die Diskussion werden drei Expert*innen aus den Bereichen Ethik, Rechtswissenschaften und Informatik zusammenkommen. In der ersten Podiumsdiskussion der Veranstaltungsreihe sollen Daten(schutz)-Fragen vor dem Hintergrund gegenwärtiger und zukünftiger Digitalisierung kritisch diskutiert werden: Was sind Gesundheitsdaten? Wem gehören sie? Wem und wie nützen sie? Und welche Macht bündelt sich im Besitz großer Datenmengen? Im Rahmen der Veranstaltung soll auch das Publikum die Möglichkeit bekommen, eigene Fragen an das Podium zu stellen und damit zivilgesellschaftliche Perspektiven in die Diskussion einzubringen.
Bild: shutterstock.com / BigMouse
Die Podiumsdiskussion wird online über Zoom stattfinden. Für die kostenlose Teilnahme genügt die Anmeldung über ein Online-Formular – ein Link zur Veranstaltung wird dann zeitnah bereitgestellt. Die Veranstaltung ist Teil des Projektes „Unser Gesundheitswesen von morgen: Digitalisierung – Künstliche Intelligenz – Diversität“, das bis Juni 2022 durch das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur aus Mitteln des Niedersächsischen Vorab gefördert wird. Die Leitung für das Projekt hat Prof. Dr. Silke Schicktanz vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Universitätsmedizin Göttingen.
Verschiedene Fachbereiche zusammenbringen
In der Diskussion werden Expert*innen aus drei verschiedenen Fachbereichen aufeinandertreffen: Mit Kirsten Bock ist eine Datenschutzjuristin des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz vertreten. Frau Bock ist zudem Mitglied beim Forum der InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FifF), dessen Muster-Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA) für Tracing-Apps sie mitgestaltet hat. Für europäische Forschungsprojekte erstellt sie darüber hinaus Ethik-Gutachten für den Bereich digitale Dienste und Anwendung.
Mit ihr diskutieren wird unter anderem Dr. Attila Wohlbrandt. Der Ingenieruswissenschaftler und Projektmanager vom Hasso-Plattner-Institut in Potsdam ist verantwortlich für die wissenschaftliche Koordination des Projektes „smart4health“, welches es EU-Bürgern*innen ermöglicht, ihre Gesundheitsdaten EU-weit zu verwalten.
Dr. Patrik Hummel wird die Expert*innen-Runde komplettieren. Herr Hummel ist Assistenzprofessor an der TU Eindhoven und beschäftigt sich als Ethiker ausgiebig mit den Themen Datensouveränität und Dateneigentum, unter anderem im Projekt „DABIGO: Datensouveränität in klinischen Big-Data-Regimes. Ethische, rechtliche und Governance-Herausforderungen“. Darüber hinaus befasste er sich in seiner wissenschaftlichen Forschung intensiv mit Gerechtigkeitsfragen in der Datendebatte.
Projektrückblick: Gesellschaftliche Akzeptanz von Pandemie-Apps (Projekt COMPASS)
Mit Smartphone Apps gegen die COVID-19-Pandemie
Zu Beginn der COVID-19-Pandemie stand für viele Regierungen fest, dass sie zur Unterstützung der Eindämmung und der Erforschung des neuartigen Coronavirus auf digitale Lösungen setzen wollen. Innerhalb kürzester Zeit wurden im Frühjahr und Sommer 2020 eine Vielzahl an Apps mit verschiedenen Zwecksetzungen für das Smartphone und sogenannte Web-Apps für den Internet-Browser entwickelt. So gibt es beispielsweise Apps mit den Hauptfunktionen Unterstützung des Test-Managements, gesundheitlicher Symptomcheck (‚Tracking‘), Datenweitergabe an die epidemiologische Forschung (‚Datenspende‘) sowie Nachverfolgung von Kontakten mit infizierten Personen (‚Contact Tracing‘). Darunter stellen die vom Robert-Koch-Institut (RKI) im Auftrag der Bundesregierung herausgegebene ‚Corona-Warn-App‘, die ‚Corona-Datenspende-App‘ und neuerdings die Luca-App sicher die bekanntesten Beispiele dar.
Bild: shutterstock.com / Firn
Die Entwicklung der Apps und die Entscheidung für bestimmte App-Eigenschaften ist bis heute von vielschichtigen technischen und ethischen Diskussionen begleitet. Sie betreffen unter anderem solche vielfältigen Fragen: Wie und wo sollen die von einer App erhobenen Daten gespeichert werden? Welche Technologien (GPS, Bluetooth) sollen zur Datenübertragung eingesetzt werden? Inwiefern können die Nutzer*innen die App selbstbestimmt nutzen? Sind die Prozesse der Datenspeicherung und die beteiligten Akteure in der Datenauswertung transparent? Ist die App-Nutzung eine moralische oder soziale Pflicht?
Bewährte Bausteine für und ethische Anforderungen an die App-Entwicklung
Damit bei zukünftigen Pandemien App-Entwickler*innen – zum Beispiel auch von Universitätskliniken – auf miteinander kompatible und erprobte App-Bausteine zurückgreifen können, erscheint es sinnvoll, bewährte Lösungen („best-practices“), technische Empfehlungen zur Konstruktion, regulatorische Anforderungen an Apps sowie ethische Empfehlungen zusammenzutragen. Dieser Aufgabe hat sich das Verbundprojekt Coordination on mobile pandemic apps best practice and solution sharing (COMPASS) mit einem besonderen Fokus auf forschungskompatible Apps gewidmet. Das COMPASS-Projekt ist Teil des 2020 gegründeten Nationalen Forschungsnetzwerk der Universitätsmedizin zu Covid-19 (NUM) und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Im Rahmen des COMPASS-Projekts war das Institut für Ethik und Geschichte der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) (Prof. Dr. Silke Schicktanz, Lorina Buhr) mit zwei eigenen Studien im Arbeitspaket „Ethische Anforderungen“ beteiligt (Laufzeit: September 2020 bis März 2021). Weitere Beteiligte dieses Arbeitspaketes waren das Universitätsklinikum Würzburg (Prof. Dr. Rüdiger Pryss), das Universitätsklinikum Ulm, sowie das Universitätsklinikum Regensburg.
Bild: shutterstock.com / ellenabsl
Teilstudien am Institut
Eine Teilstudie umfasste die systematische Sichtung der Fachliteratur zu ethischen Empfehlungen zur Entwicklung und Anwendung von Pandemie-bezogenen Smartphone Apps (‚Scoping Review‘). Aus der Literatursichtung konnten eine Reihe von ethischen Handlungsempfehlungen für App-Entwickler*innen gewonnen werden, diese sind auch in die NUM-COMPASS Online-Plattform ‚Wissensbasis Pandemie-App-Entwicklung‘ eingeflossen.
Im Rahmen der zweiten Teilstudie wurde eine repräsentative Bevölkerungsumfrage durchgeführt. Ziel der Umfrage war es, Einstellungen und Akzeptenzpotentiale in der breiten Bevölkerung gegenüber Pandemie-Apps zu erheben, die auf die Datenweitergabe an Forschungsinstitute ausgelegt sind (‚forschungskompatible Pandemie-Apps‘).
Ergebnisse
Die Ergebnisse der Umfrage haben wichtige Erkenntnisse für die Betrachtung ethischer Dimensionen der Nutzung von Pandemie-Apps und die Kommunikation rund um den Einsatz von Pandemie-Apps geliefert. Eine zentrale Einsicht war, dass forschungsorientierte Apps großes Potential haben angenommen zu werden, wenn sie von staatlichen Institutionen herausgegeben werden, da sich eine deutliche Mehrheit der Befragten zur Weitergabe von App-Daten an staatliche Forschungsinstitute bereit zeigte. Dagegen ist das Vertrauen in privatwirtschaftliche Akteure rund um die Herausgabe und Speicherung von Daten von Pandemie-Apps deutlich geringer. Auch gibt es Nachholbedarf in der Aufbereitung und Zugänglichkeit von Informationen rund um Pandemie-Apps und deren Datenverarbeitung. Erste Ergebnisse der Bevölkerungsumfrage sind bereits im Ärzteblatt erschienen. Eine ausführliche Darstellung der Bevölkerungsumfrage und ihrer Ergebnisse sollen nun außerdem in einem internationalen Fachjournal publiziert werden.
Einen herzlichen Dank an Lorina Buhr für die Ausarbeitung dieses Beitrages!
„Was man nicht im Kopf hat, hat man in den Beinen“ sagt man sich selbst mit einem kleinen Lächeln, wenn man erneut das Portemonnaie, Schlüssel oder Handy vergessen hat und sich wieder auf den Rückweg macht. Doch was ist, wenn sich diese Vorfälle häufen und nicht nur Kleinigkeiten vergessen werden, sondern auch alltägliche Routinen plötzlich schwerer fallen? Was ist, wenn man solche Gedächtnisstörungen bei Angehörigen beobachtet?
Shutterstock / Naumova Marina
Viele Menschen machen sich Sorgen um ihr Gedächtnis und befürchten, dass sie in der Zukunft eine Demenz entwickeln könnten. Manchmal sind es auch die Angehörigen, die erste Gedächtnisstörungen bei ihren Partnern, Eltern oder anderen Verwandten bemerken. Sie vermuten, dass eine beginnende Demenz vorliegt.
Fachärztliche Informationen zum Thema sind manchmal aber schwer zu bekommen. Leicht zugängliche Beratungsangebote sind bisher selten. Deshalb möchten wir mit dem Informations- und Beratungstelefon ein neues Angebot für Personen mit beginnenden Gedächtnisstörungen und besorgte Angehörige schaffen. Diese können im Telefonat Fragen stellen und sich über mögliche Testverfahren oder Anlaufstellen informieren.
Das Informations- und Beratungstelefon ist Teil des Modellprojekts „Gut beraten: Neue multimodale und standardisierte Beratungsmodelle für Menschen im Frühstadium einer Alzheimer-Erkrankung bzw. im Rahmen einer Demenzvorhersage“. Dieses Projekt ist eine Kooperation des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin (J. Perry und Prof. Dr. S. Schicktanz) der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie (Dr. K. Radenbach und Prof. Dr. J. Wiltfang) der UMG, und des IEGUS – Instituts für europäische Gesundheits- und Sozialwirtschaft (B. Herten). Gefördert wird das Projekt durch die Deutsche Alzheimergesellschaft e.V. Selbsthilfe Demenz. Unsere Projektwebsite wird über das Informations- und Beratungstelefon hinaus, allgemeinzugängliche Informationen bieten und Antworten auf mögliche erste Fragen geben: https://beratung-demenz.de.
Demenz und Diagnostik zur Feststellung von Gedächtnisstörungen
Demenz ist eine fortschreitende Erkrankung, bei der das Gedächtnis und andere geistige Fähigkeiten wie z. B. Lernen, Sprache, Orientierung, Entscheidungskompetenz oder Planungs- und Urteilsvermögen beeinträchtigt sein können. Im Verlauf kann es zu deutlichen Einschränkungen der selbstständigen Lebensführung kommen. Betroffene sind dann auf Unterstützung und Pflege angewiesen.
Eigene Illustration aufbauend auf Informationen aus Schneider et al. 2007 und https://www.alz.org/alzheimers-dementia/what-is-dementia
Trotz intensiver Forschung gibt es bislang noch keine Aussicht auf Heilung. Die Behandlung einer Alzheimer-Demenz konzentriert sich daher auf eine medikamentöse Therapie zur Verlangsamung des Krankheitsverlaufs. Begleitend wird oft versucht, Verhalten und Emotionen der Betroffenen positiv zu beeinflussen. Eine Unterstützung durch die Familie, sowie, wenn nötig, professionelle Pflege, sind ebenfalls wichtig.
Man geht derzeit davon aus, dass bisherige Medikamente in einem zu weit fortgeschrittenen Erkrankungsstadium ansetzen. Aktuell fokussiert die Forschung daher auf die Verbesserung der Vorhersage und Früherkennung von Demenz. So hofft man, Therapien in Zukunft früher beginnen zu können oder neue Therapieansätze zu finden, die viel früher in die molekularen Mechanismen der Erkrankungen eingreifen als bislang. Durch z. B. Untersuchungen des Nervenwassers und nuklearmedizinische Untersuchungen sind erste Anzeichen der Alzheimer-Erkrankung mittlerweile Jahre bis Jahrzehnte vor Beginn einer Demenz nachweisbar. Erste Gedächtnisstörungen lassen sich schon in Vorstadien einer Demenz mit neuropsychologischen Verfahren nachweisen.
Diese frühe Erkennung kann sinnvoll sein, um beispielsweise beim Übergang in eine Demenz rechtzeitig mit einer medikamentösen Therapie zu beginnen. Es können auch weitere Faktoren, die den Verlauf der Erkrankung beeinflussen können, positiv verändert werden. Dazu gehören z. B. gesunde Ernährung, geistige und körperliche Aktivität, die Behandlung von Herzkreislauferkrankungen und eine gute Hörgeräteversorgung bei Hörminderung.
Frühe Diagnosen sollten aber gut überlegt sein: Ein auffälliger Befund kann das Leben einer Person von Grund auf ändern. Das betrifft Bereiche wie die weitere Lebensplanung und Versorgungsentscheidungen – gerade bei Personen, die noch berufstätig sind – aber auch die Beziehungen zu Angehörigen und Freunden, die eigene Lebensqualität und mögliche psychische Belastungen, die durch das bloße Wissen über einen auffälligen Befund entstehen können.
Das Angebot des Informations- und Beratungstelefons
Ein professionelles Beratungsangebot kann Betroffenen und Angehörigen dabei helfen, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen, ob und in welchem Umfang diagnostische Untersuchungen sinnvoll und hilfreich sind. Die Beratung kann weiter dabei helfen passende Anlaufstellen zu finden. Daher bieten wir im Projekt seit dem 25.01.2021 zweimal pro Woche ein Informations- und Beratungstelefon an, das Anrufende genau darin unterstützen soll.
Bild: Ruben Sakowsky
Eine Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie mit langjähriger Erfahrung in der Behandlung von Menschen mit Gedächtnisstörungen, bietet am Telefon, das an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der UMG angesiedelt ist, erste Hilfestellungen für die Anrufenden. In den Gesprächen wird aber weder eine Diagnose gestellt, noch erfolgt eine Fernbehandlung. Das Ziel ist es, betroffene Personen in ihrem Anliegen individuell und bedürfnisgerecht zu unterstützen und Informationen sowie Zugang zu geeigneten Anlaufstellen zur Verfügung zu stellen. Die Beratung ist kostenfrei und richtet sich an Menschen aus Göttingen und dem Göttinger Umland.
Befragung individueller Bedürfnisse und Erfahrung zur Verbesserung des Beratungsangebots
Ziel des Projekts ist es, das Beratungsangebot für Betroffene einer demenziellen Erkrankung im Frühstadium oder im Rahmen einer Demenzvorhersage sowie für deren Angehörige nachhaltig zu verbessern. Daher werden die Beratungsgespräche auf freiwilliger Basis auch wissenschaftlich evaluiert: Wenn die anrufende Person damit einverstanden ist, wird nach der Beratung Kontakt zu einer Mitarbeiterin des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der UMG hergestellt. Diese befragt die Person zu folgenden Punkten:
Wie wurde das telefonische Beratungsgespräch empfunden?
Was wurde aus dem Gespräch mitgenommen oder was hat eventuell gefehlt?
Wie wurde generell die Qualität der Beratung empfunden?
Welche Verbesserungsvorschläge gibt es für das Angebot?
Bild: Ruben Sakowsky
Die Zeit für das etwa 30-minütige Gespräch kann selbst gewählt werden. Die Gespräche finden telefonisch statt. Selbstverständlich werden alle erhobenen, persönlichen Daten der Anrufenden im gesamten Projekt streng vertraulich und den Richtlinien des Datenschutzgesetzes entsprechend behandelt. Die Inhalte der Gespräche werden nicht an Dritte weitergegeben.
Das Informations- und Beratungstelefon für Personen mit beginnenden Gedächtnisstörungen und besorgte Angehörige steht jeweils montags von 10.00-12.00 Uhr und donnerstags von 14.00-16.00 Uhr unter der Telefonnummer 0551 – 39 62122 als Anlaufstelle zur Verfügung. Wenn Sie sich Sorgen um Ihr eigenes Gedächtnis machen oder um das einer angehörigen Person, rufen Sie an – wir unterstützen Sie gerne.
Erste Ergebnisse
Eine erste Zwischenbilanz zeigt, dass Anrufende, die sich um ihr eigenes Gedächtnis sorgen, vorrangig vor einer Verschlimmerung der Symptome und eines möglichen Autonomieverlusts Angst haben. Sie erhoffen sich durch eine eventuelle Diagnostik Sicherheit sowie neue Möglichkeiten, um den Verlauf zu verlangsamen. Anrufende empfinden die telefonische Beratung als erleichternd, aber werden zum Teil auch in ihren Ängsten bestätigt. Besorgte Angehörige geben insbesondere einen hohen Informations- und Beratungsbedarf an. Angehörige machen sich vorwiegend Sorgen um den Zugang zu Gedächtnisambulanzen bzw. um fehlende Kooperation seitens ihrer betroffenen Angehörigen. Sie sehen besonders in COVID-19-Zeiten einen Mangel an Trainingsangeboten für Angehörige sowie wissenschaftlich gesicherte Informationen. Anrufende, die sich um ihr eigenes Gedächtnis sorgen, und auch anrufende Angehörige betonen ihre Dankbarkeit für das niederschwellige Beratungsangebot sowie eine Zufriedenheit mit der Länge des Gesprächs. Darüber hinaus geben sie an, dass ein Telefonat für ein solches Beratungsangebot gut funktioniert. Sie zeigen sich skeptisch gegenüber anderen Optionen, wie einer Beratung über E-Mail oder über die Kommunikation auf einer Website.
Als Projektteam freuen wir uns sehr über die positive Annahme des Beratungsangebots. Um diese Ergebnisse auszubauen und noch repräsentativer zu gestalten, werden wir auch in Zukunft die Beratungsgespräche evaluieren. Wir hoffen langfristig, das Beratungsangebot auch über Göttingen hinaus zu erweitern und stetig zu verbessern.
Einen herzlichen Dank an Julia Perry sowie an das gesamte Projektteam für die Ausarbeitung dieses Artikels.