Repräsentationen von Syphilis vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart
Die Plakatkampagne „Hautnah“, die zahlreiche Bushaltestellen, Plakatwände und Litfaßsäulen schmückte, war in den vergangenen Monaten kaum übersehbar. Sie machte das Thema Geschlechtskrankheiten im Alltag auf einprägsame Weise visuell präsent. Dass die Bundeszentrale für sexuelle gesundheitliche Aufklärung (BzgA) mit ihrer Initiative „LIEBESLEBEN“ dabei auf die Gefahr einer Ansteckung hinweist und aktiv zur Nutzung von Kondomen auffordert, überrascht aus heutiger Perspektive kaum, denn dies gilt als eine der erfolgreichsten Maßnahmen zur Prävention von Geschlechtskrankheiten wie Syphilis.
Solche Sichtbarmachungen von Geschlechtskrankheiten sind kein Phänomen des 21. Jahrhunderts, sondern begannen sich bereits im frühen 20. Jahrhundert zu entwickeln – jedoch zumeist weniger freizügig und mit anderen sozialen und moralischen Implikationen, als es heute der Fall ist. Trotz dessen war dies zeitgenössisch provokant, denn selbst das offene Thematisieren von Sexualität und den mit Scham behafteten Geschlechtskrankheiten war um 1900 neu.
Hintergrund: Die Verbreitung der Geschlechtskrankheit Syphilis
Syphilis galt zu dieser Zeit als die am weitesten verbreitete Geschlechtskrankheit. Da sich die Krankheit teilweise an sichtbaren Körperstellen zeigt, war ihr Anblick stärker Teil des Alltags als heute. Jedoch ist sie nicht verschwunden: Zwar ist sie seit der Entwicklung des Penicillins als Gegenmittel in den 1940er Jahren gut behandelbar. Für viele überraschend, stieg die Zahl an Ansteckungen mit Syphilis jedoch seit 2010 wieder auf etwa 8.000 jährlich an.
Wie bis heute nicht untypisch bei Geschlechtskrankheiten, wurden auch um 1900 bestimmte Personengruppen mit Syphilis assoziiert. Lange Zeit handelte es sich dabei vor allem um weibliche Prostituierte und die Krankheit galt als schambehaftet. Um das verbreitete Wissen über Syphilis zu beeinflussen, wurden sogenannte „Aufklärungskampagnen“ in den 1910er bis frühen 1930er Jahren durchgeführt, die es zum Ziel hatten, wissenschaftliches Wissen frei von moralischen Implikationen zu verbreiten. Dabei kamen insbesondere Visualisierungen, wie Poster, Lichtbildervorträge oder Ausstellungen zum Einsatz – die annehmen lassen, dass sie die Wissensaushandlung beeinflussten.
Das Promotionsprojekt „Krankheit als Wissensding“
Wie unterschieden sich diese Kampagnen von den heutigen? Wie wurde von den 1880er bis in die 1930er – und damit der Zeit, zu der Syphilis als Gefahr wahrgenommen wurde – auf visueller Ebene über die Krankheit informiert? Welchen Einfluss hatten die Visualisierungen auf die Aushandlung und Verbreitung von Wissen? Wer war daran beteiligt?
Um diesen und weiteren Fragen auf den Grund zu gehen, beschäftigt sich das geschichtswissenschaftliche Promotionsprojekt „Krankheit als Wissensding“ mit unterschiedlichen Visualisierungen und auch Materialisierungen von Syphilis. Seit Oktober 2020 werden diese „Wissensdinge“ sowohl in öffentlichen als auch in medizinischen Forschungskontexten analysiert.
Seit August 2021 profitiert das Projekt dabei insbesondere von der Zusammenarbeit mit dem am Institut angesiedelten, universitätsintern geförderten Projekt „Infection and Injustice. Narrative Responses to Pandemics”. Das Projekt ergänzte das Promotionsthema um die Frage, wie in Visualisierungen wie Postern oder Lichtbildern Narrative über Syphilis umgesetzt sein können.
Ziel des Projekts
Objekte und damit auch ihr Einfluss auf die Konstruktion von Wissen über Syphilis wurden in der bisherigen Forschung häufig nicht systematisch mitbetrachtet. Sie können jedoch schriftliche Quellen um zusätzliche Ebenen ergänzen und einen Beitrag dazu leisten nachzuvollziehen, wie unterschiedliche Akteursgruppen auch über andere Medien Wissen aushandelten und zu verbreiten versuchten. Dabei kamen sowohl in den Wissenschaften, z.B. der Dermatologie, als auch in öffentlichen Räumen (wie bei Ausstellungen oder Vorträgen) unterschiedlichste mediale Trends zum Einsatz. Daher nimmt das Projekt unterschiedliche Sichtbarmachungen von Krankheit in Objektform in den Blick. Dazu gehören unter anderem Wachsmoulagen bzw. Nachbildungen von Körperteilen aus Wachs, menschliche und tierische Gebeine, aber auch diverse Abbildungsformen wie Statistiken oder Fotografien. Über die Analyse dieser „Wissensdinge“ soll nachvollzogen werden, wie Krankheitsverständnisse auf visueller und materieller Ebene geformt werden können und welche Kommunikationsstrategien, Konflikte, In- und Exklusionsprozesse hier zum Tragen kommen.
Vielen Dank an Victoria Morick für die Ausarbeitung dieses Beitrags!