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Intelligente Assistenztechnologien — die Zukunft der Versorgung von Menschen mit Demenz?

Demenz – eine gesellschaftliche und persönliche Herausforderung

Demenz ist eine globale Herausforderung. Mehr als 55 Millionen Menschen sind weltweit betroffen. 1,3 Billionen Dollar kostet ihre Versorgung — eine Zahl mit 12 Nullen! Das ist beinahe das Dreifache des deutschen Bundeshaushalts. Und in den kommenden Jahren werden diese Zahlen weiter steigen: Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass bis 2050 weltweit über 130 Millionen Menschen von Demenz betroffen sein werden. Die Kosten werden sich bis 2030 verdoppeln.

Die großen Zahlen und die noch größeren Herausforderungen auf gesellschaftlicher Ebene dürfen nicht darüber hinwegtäuschen: Demenz ist vor allem und zuerst eine persönliche Herausforderung. Demenz ist für die Betroffenen mit einem fortschreitenden und unumkehrbaren Verlust ihrer geistigen Fähigkeiten verbunden: Die Vergesslichkeit nimmt zu, man verläuft sich immer öfters, und auch alltägliche Handlungen wie Kochen und Körperpflege fallen zunehmend schwerer. Auch für die Angehörigen ist die Demenz eines nahestehenden Menschen herausfordernd: Durch die Versorgung der Betroffenen im eigenen Haus, in der eigenen Wohnung leidet das eigene Sozial- und Berufsleben, finanzielle Belastungen nehmen zu und vor allem der psychische Stress setzt viele Angehörige unter Druck. Der Umzug in eine Pflegeeinrichtungen wird trotzdem von vielen Betroffenen und Angehörigen solange wie möglich hinausgezögert.

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Dabei können schon heute viele Menschen mit Demenz nicht mehr von ihren jüngeren Verwandten versorgt werden: Junge Menschen müssen häufig für Ausbildung, Studium, Beruf ihre Heimat verlassen und ziehen in weit entfernte Regionen. Gleichzeitig arbeiten — gerade in Deutschland! — zu wenige Menschen als Pflegefachkraft: zu unattraktiv, zu schlecht bezahlt, zu belastend ist der Beruf.

Intelligente Assistenztechnologien – die große Hoffnung

Wie kann vor diesem Hintergrund sichergestellt werden, dass Menschen mit Demenz auch in Zukunft gut versorgt werden? Politik und Gesellschaft setzen große Hoffnungen in sogenannte intelligente Assistenztechnologien. Schon heute gibt es eine Vielzahl solcher technischen Geräte: Mit GPS-Tracking-Systeme soll man Menschen mit Demenz, die sich verlaufen haben, leichter und schneller wiederfinden; moderne Navigationssysteme können den Betroffenen helfen, sich selbst wieder zu orientieren; das sogenannte Ambient Assisted Living unterstützt durch verbaute Sensoren die Alltagsbewältigung im eigenen Wohnumfeld; Roboter können Menschen mit Demenz in ihren täglichen Aufgaben unterstützen, an die Einnahme von Medikamenten erinnern und die pflegenden Angehörigen oder Fachkräfte bei körperlich anstrengenden Tätigkeiten entlasten. An vielen weiteren Technologien mit unterschiedlichen Einsatzgebieten wird derzeit geforscht.

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Sie alle verfolgen mehrere Ziele: Die Lebensqualität von Menschen mit Demenz soll verbessert werden; die Angehörigen und beruflich Pflegenden sollen unterstützt werden; nicht zuletzt soll die Pflege effizienter gestaltet und damit das öffentliche Versorgungssystem finanziell entlastet werden. Die Hoffnungen sind so groß wie die Herausforderungen. Doch bislang gibt es kaum wissenschaftliche Erkenntnisse über die Rahmenbedingungen und Folgen der Nutzung dieser intelligenten Assistenztechnologien. Können sie die Hoffnungen erfüllen und die gesteckten Ziele erreichen? Welche Chancen birgt ihr Einsatz und welche Risiken gehen mit ihm einher?

EIDEC – Ethische und soziale Aspekte Co-intelligenter Monitoring- und Asssistenzsysteme in der Demenzpflege

Um auf diese Fragen Antworten zu finden, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Projekt EIDEC (Ethische und soziale Aspekte Co-intelligenter Monitoring- und Assistenzsysteme in der Demenzpflege). Von 2019 bis Ende 2022 forschen wir interdisziplinär zu den Rahmenbedingungen, Chancen und Risiken intelligenter Assistenztechnologien in der Demenzpflege. Interdisziplinär bedeutet in diesem Fall, dass unser Team aus Ethiker*innen und Sozialwissenschafter*innen, aus Informatiker*innen und Ingenieurwissenschaftler*innen besteht.

In etwa 60 Interviews haben wir Menschen mit Demenz, ihre Angehörigen, beruflich Pflegende und Expert*innen aus Deutschland dazu befragt, welche Auswirkungen ihrer Meinung nach der Einsatz intelligenter Technologien in der Versorgung von Menschen mit Demenz hat. Allein mit den interviewten Expert*innen kamen 20 Interviews zusammen, die wir anschließend ausgewertet haben. Die Teilnehmer*innen kamen dabei aus den Bereichen der Technikforschung und -entwicklung, der Freien Wohlfahrtspflege, den Pflegeversicherungen, der Gesundheits- und Pflegepolitik, sowie der Interessenvertretung beruflich Pflegender. So konnten wir einen tiefen Einblick in die aktuellen Bewertungen deutschsprachiger Schlüsselpersonen von intelligenten  Assistenztechnologien für die Demenzpflege gewinnen.

Digitale Pflege im Funkloch? – Rahmenbedingungen für intelligente Assistenztechnologien

Viele der Expert*innen haben betont, dass die Digitalisierung bereits den Alltag der allermeisten Menschen bestimmt: Wir nutzen Smartphones, kaufen online ein, treffen uns mit Freunden in Videochats und arbeiten digital von zuhause aus. Vieles davon gilt immer mehr auch für ältere Menschen. Die Bereitschaft, digitale Technologien und Systeme zu nutzen steigt. Gleichzeitig findet vieles, was die Digitalisierung ermöglicht, noch im Funkloch statt — oder eben nicht. Das kann man doppelt verstehen: Die Expert*innen betonten erstens, dass gerade in ländlichen Regionen und in Pflegeeinrichtungen die Anbindung an das Internet bislang verbesserungsbedürftig ist. Schnelles Internet ist für viele intelligente Technologien eine Grundvoraussetzung, in den meisten ländlichen Regionen aber einfach nicht vorhanden. In vielen Pflegeeinrichtungen haben die Bewohner*innen nicht einmal Zugriff auf ein WLAN.

Das Funkloch ist aber auch in einem übertragenen Sinn zu verstehen: Obwohl die Bereitschaft, digitale Technologien zu nutzen steigt, sind die notwendigen Kompetenzen dafür immer noch ungleich verteilt. Die Expert*innen stellten zweitens fest, dass gerade ältere Menschen bei der Nutzung von Smartphones und noch komplexeren Systemen Unterstützung brauchen. Zumindest am Anfang. Nicht jedem stehen dafür jüngere Angehörige zur Verfügung. Aber auch Informations- und Bildungsangebote zu digitalen Technologien sind bislang noch eine Ausnahme. Der Mangel sowohl an schnellem und stabilem Internet als auch an Informations- und Bildungsangeboten führt dazu, dass viele, gerade ältere Menschen heute noch von den Möglichkeiten der Digitalisierung ausgeschlossen sind. — Gerade wenn es um den Bereich der pflegerischen Versorgung geht.

Selbstbestimmt, überwacht, vereinsamt? – Chancen und Risiken für Menschen mit Demenz

In den Interviews haben wir die Expert*innen aber nicht nur nach den Rahmenbedingungen gefragt. Wir wollten auch wissen, wie sie die Chancen und Risiken intelligenter Assistenzsysteme für die Betroffenen einschätzen. Die Expert*innen hoben eine Chance besonders hervor: Intelligente Assistenzsystemen könnten dazu beitragen, dass Menschen mit Demenz länger in ihrem eigenen Wohnumfeld leben können. Das entspricht auch dem Wunsch der meisten älteren Menschen. Sensorsysteme, die Bewegungen registrieren, den Schlafrhythmus auswerten und Stürze erkennen können, können die Sicherheit der Betroffenen erhöhen. Digitale Erinnerungssysteme und unterstützende Roboter können die Betroffenen unabhängiger von Angehörigen und beruflich Pflegenden machen. Durch Videokonferenzsysteme können entfernt lebende Angehörige den Kontakt halten, und auch der Austausch mit Pflegefachkräften und Ärzt*innen wird erleichtert.

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Die Expert*innen wiesen aber auch auf Risiken hin: Um die genannten Chancen zu verwirklichen, müssen intelligente Assistenztechnologien viele Daten sammeln und auswerten; das könnte von vielen Menschen als Überwachung wahrgenommen und abgelehnt werden. Zugleich stellen sich Fragen nach der Sicherheit der Daten und Zugriffsberechtigungen. Außerdem befürchteten einige Expert*innen, dass die technisch gewährleistete Unabhängigkeit zu einer Vereinsamung der Betroffenen führen könnte: Weil diese eh sicher im eigenen Wohnumfeld sind, könnten Angehörige und beruflich Pflegende seltener vorbeikommen und der Kontakt nur noch digital, über Bildschirme stattfinden.

Wirklich entlastet? – Chancen und Risiken für Angehörige und beruflich Pflegende

Neben den Betroffenen selbst, sind auch die Angehörigen und beruflich Pflegenden wichtige Personen in der Versorgung von Menschen mit Demenz. Deshalb haben wir die Expert*innen auch nach den Chancen und Risiken intelligenter Assistenzsysteme für diese Gruppen gefragt. Dabei stellte sich heraus, dass die Expert*innen die größte Chance für pflegende Angehörige und Pflegefachkräfte in der Entlastung sehen: Der Einsatz intelligenter Assistenztechnologien kann sowohl zum körperlichen als auch psychischen Wohlbefinden dieser Gruppen beitragen. Roboter können bei der Umlagerung von bettlägerigen Menschen mit Demenz helfen oder bei der anstrengenden Körperpflege unterstützen; Sicherheitssysteme können dazu beitragen, dass Angehörige auch ihr eigenes Sozial- und Berufsleben pflegen und nicht 24 Stunden am Tag zuhause bleiben müssen; Videokonferenzsysteme ermöglichen es entfernt lebenden Verwandten, auch auf Distanz Kontakt zu den Betroffenen zu halten, und Pflegefachkräften auch im eng getakteten Alltag kurzfristig für ein Gespräch verfügbar zu sein.

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Andererseits bergen die intelligenten Assistenztechnologien auch Risiken für Angehörige und beruflich Pflegende. Die Überwachung der Betroffenen könnte sich so befürchteten einige Expert*innen, zu einer Sucht entwickeln. Angehörige und Pflegefachkräfte würden dann jederzeit wissen wollen, was der Mensch mit Demenz macht und wo er sich aufhält. Das würde dann neuen Stress auslösen und auch die Beziehung zwischen den Beteiligten belasten. Zusätzlich könnten durch die intelligente Assistenztechnologien selbst neue Belastungen entstehen: Anschaffung, Instandhaltung und Nutzung sind teilweise sehr teuer; gerade im privaten Umfeld bedeutet das zusätzlich finanzielle Belastungen. Für Pflegefachkräfte könnte der vermehrte Einsatz zu einer grundlegenden Veränderung des Berufs führen: Sie könnten sich in Zukunft mehr um die Technologien als um Menschen kümmern müssen. Im schlimmsten Fall würde die Wartung der Technologien ein zusätzlicher Arbeitsinhalt werden, den die Pflegefachkräfte zusätzlich in ihrem eng getakteten Arbeitsalltag bewältigen müssen.

Infrastruktur, Information, Selbstbestimmung! – Ethische Schlussfolgerungen

Eine Aufgabe der Ethik ist es festzustellen, welche moralischen Einstellungen in der Gesellschaft verbreitet sind, und sie zu bedenken. Mit Blick auf intelligente Assistenzsysteme in der Demenzpflege haben wir das in unserem Projekt durch Interviews mit Menschen mit Demenz, ihren Angehörigen und Pflegenden, sowie Expert*innen getan. Eine weitere Aufgabe der Ethik ist es, aus diesen Ergebnissen normative Schlussfolgerungen zu ziehen. In unserem Fall heißt das: Ethiker*innen überlegen, wie der Einsatz intelligenter Assistenzsysteme so gestaltet werden kann, dass er für die beteiligten Personen gut ist und zu einem guten Leben, einer guten Versorgung von Menschen mit Demenz beitragen kann:

  1. Es ist wichtig, dass alle Menschen mit Demenz Zugang zu schnellem und stabilem Internet haben. Nur so können sie von den Chancen und Möglichkeiten digitaler Assistenztechnologien profitieren. Um dies zu erreichen, muss sowohl in ländlichen Regionen als auch in Pflegeeinrichtungen die digitale Infrastruktur ausgebaut und gefördert werden.
  2. Es ist wichtig, dass Menschen mit Demenz wissen, welche Chancen und Risiken mit dem Einsatz intelligenter Assistenztechnologien in ihrer Versorgung verbunden sind und dass sie wissen, wie man die Technologien sinnvoll nutzt. Nur mit diesem Wissen können sie vernünftig entscheiden, ob und in welchem Umfang sie eine Assistenztechnologie nutzen wollen — oder nicht. Um dies zu erreichen, müssen Bildungs- und Informationsangebote geschaffen und gestärkt werden. Diese müssen niedrigschwellig, lokal und zugehend seien.
  3. Es ist wichtig, dass Menschen mit Demenz selbst entscheiden, welche Assistenztechnologien sie in welchem Umfang und in welcher Art und Weise nutzen wollen. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Technologien dem Wohl der Betroffenen dienen und nicht aus ökonomischen Gründen oder zum Vorteil anderer Personen eingesetzt werden. Um dies zu erreichen, müssen sowohl in der häuslichen als auch der institutionellen Pflege Entscheidungsstrukturen etabliert werden, die den Bedarfen und Wünschen der Menschen mit Demenz Priorität einräumen. Wenn Betroffene sich gegen den Einsatz intelligenter Assistenzsysteme entscheiden, muss dies respektiert werden.

Um die Chancen von intelligenten Assistenztechnologien zu verwirklichen und ihre Risiken möglichst klein zu halten, muss sich ihr Einsatz zuerst und vor allem an den Bedarfen und Wünschen der Betroffenen ausrichten. Außerdem müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die es jeder Betroffenen und jedem Betroffenen ermöglichen, an den Chancen der Digitalisierung teilzuhaben.

Wenn dies gewährleistet ist, können intelligente Assistenztechnologien einen wertvollen Beitrag zur Versorgung von Menschen mit Demenz und ihrer Lebensqualität leisten.

EIDEC Projekt-Website

Vielen Dank an Johannes Welsch für die Ausarbeitung dieses Beitrags!